100 Dinge, die Sie einmal im Leben gegessen haben sollten
Umeboshi also ruhig erst mal ab.
Vanille
Weihnachten ohne Vanillekipferl, kann sich das irgendjemand in unseren Breitengraden vorstellen? Und einen Eisbecher ohne Vanilleeis, der Mutter aller Eissorten? Von Vanilleeis mit heißen Himbeeren und Pfirsich Melba ganz zu schweigen. Oder Dampfnudeln, in Österreich »Buchteln« genannt, ohne Vanillesauce? Allerdings kann ich mich nicht erinnern, als Kind einmal eine Vanilleschote in unserer Küche gesehen zu haben. Vanillezucker in den berühmten Päckchen, die zusammen mit dem Backpulver verwahrt wurden, ja, aber an ganze Schoten kann ich mich nicht erinnern. Wahrscheinlich war echte Vanille auch schon damals ziemlich teuer, so dass man mit Aromastoffen vorliebnahm.
Mit großen Augen und langen Ohren nehme ich die Vanillestorys der großen Fernsehköche zur Kenntnis – »Vanille ist gut für Nerven und Gehirn!« –, die das teure exotische Schoten-Aroma-Wunderwerk inzwischen auch für die Fisch- und Fleischküche einsetzen. So soll Vanille beispielsweise hervorragende Harmonisierungsdienste an Hummerfleisch leisten. Das kommt mir immer noch ein wenig fremd vor, müsste wohl einfach mal ausprobiert werden. Für mich neigt sich der Vanilleeinsatz in der Küche aus nostalgischen Gründen immer noch dem Süßen zu. So hat auch Country-Legende Hank Williams die teure Schote eingeschätzt, als er bei einer Probe die Musiker mit dem Satz »Mehr Vanille, Jungs!« anfeuerte.
Also, synthetisches Vanillin ist für mich eine Unzutat, eine Aromenparodie, die keinesfalls echte Vanille ersetzen kann. Genauer gesagt: Es wird oft aus Lignin gewonnen, einem Abfallstoff der Papierherstellung. Wer also Abfälle der Papierindustrie auf seinem Teller mag, der soll sie ruhig weiter kaufen.
Von der wahren Vanille gibt es nicht eine, sondern mehrere Sorten: Mexiko, Indien, Réunion, Polynesien, Uganda, die Komoren und viele andere Regionen der Welt locken mit Vanillen, die sich aromatisch stark unterscheiden.
Ursprünglich jedoch stammt Vanille von einer Orchideenpflanze, die in Mexiko und Mittelamerika heimisch ist. Versuche, Letztere anderswo zu pflanzen, misslangen gründlich. Tatsächlich ist die Orchidee, die uns die Vanille beschert, in ihrer Fortpflanzung höchst anspruchsvoll. Sie lässt sich nur von bestimmten Bienen- und Kolibriarten aus ihrer natürlichen Heimat befruchten. An ihre Blüte darf etwa die Melipona-Biene heran, die über keinerlei Stachel verfügt. Die Spanier hielten – als Mexikos Kolonialherren – ein Vanillemonopol aufrecht, das jeder in Europa knacken wollte. Dem belgischen Botaniker Charles Morren gelang das 1836, im Gewächshaus von Liège. Ein Jahr später zog der französische Fachmann Joseph Henri Fran ç ois Neumann nach. Doch was im Labor funktionierte, erwies sich in der Natur als kompliziert und kostspielig. Der 12jährige, farbige Sklavenjunge Edmond (1829–1880) erfand schließlich ein Verfahren zur manuellen Bestäubung, das heute noch eingesetzt wird. Schon zehn Jahre vor Edmonds Geburt versuchten die Franzosen, auf La Réunion Vanille zu züchten. Angesichts der Abwesenheit geeigneter Bienen verlief dieses Vorhaben im wahrsten Sinne des Wortes unfruchtbar. Edmond hatte von seinem »Besitzer« Ferréol Beaumont Bellier die Grundlagen des Gartenbaus vermittelt bekommen. Mit einem simplen Bambusspießchen öffnete er die Blüte und drückte mit dem Daumen der linken Hand sanft das männliche Staubblatt gegen den weiblichen Stempel. Damit war die Gewürzvanille befruchtet, das lästige Vanillemonopol rasch überwunden. Die Insel Réunion wurde zu einem wichtigen Vanillelieferanten. Bald schon bauten die Franzosen Pflanzen auch im benachbarten Madagaskar an: Die »Bourbon-Vanille« war geboren. Edmond jedoch brachte die Entdeckung seines Verfahrens kein Glück: Zuerst versuchte sich der Botaniker Jean-Michel-Claude Richard, die Methode anzueignen. Er und kein anderer hätte sie dem Waisenkind beigebracht, behauptete er. Edmonds »Besitzer« und ein Naturwissenschaftler verteidigten den Jungen vehement, doch es blieben Zweifel. Zwar wurde 1848 die Sklaverei abgeschafft, was dem jungen Mann neben der Freiheit immerhin den Beinamen Albius – nach dem Weiß der Vanilleblüte – brachte. Doch finanziellen Profit hatte er aus seiner »Geburtshilfe« nicht gezogen. So heuerte Edmond Albius als Diener an, wurde schließlich wegen Juwelendiebstahls belangt und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Nach der Hälfte der Strafe erfuhr der Gouverneur von
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