100 Dinge, die Sie einmal im Leben gegessen haben sollten
Wilderern geschlachtet, ihre Eier, ihr Fleisch, sogar ihre Haut und ihr Knochenmark wurden verschachert. Dies war der Anfang vom Ende für den Kaviar von wild gefangenen Stören. Sicher, man findet ihn noch im Iran und einer Handvoll anderer Länder, aber politische Spannungen und die vom CITES (Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen) diktierten Verkaufsquoten erschweren den Handel deutlich. So entfiel auf iranischen Beluga von Stören der Sorte Huso huso zur Saison 2010–2011 ganze 800 Kilo für den Weltmarkt. Kasachstan erhielt eine Lizenz, um 1500 Kilo zu exportieren. Zu wenig für eine steigende Nachfrage und zu viel für Umweltschützer, die bemängeln, dass die CITES-Quoten noch zu großzügig sind, um den Stör ausreichend zu schützen
Was bleibt, ist Zuchtkaviar, der angeblich per »Kaiserschnitt« nach Ultraschall-Untersuchungen in Mini-Krankenhäusern für Störe ans Tageslicht und damit auf den Markt befördert wird. Züchter rühmen sich deshalb gern des Respekts vor der Natur oder bieten sogar »Bio-Kaviar« an. Tatsächlich gebietet schon die wirtschaftliche Vernunft, die Tiere zu schonen. Weibliche Störe brauchen sieben Jahre bis zur ersten Kaviar-»Ernte«. Während dieser Zeit müssen sie gepflegt und gefüttert werden.
Zuchtkaviar gilt als großes Geschäft der Zukunft, immer neue Exporteure drängen auf den Markt. In den USA wird die Störsorte Acipenser transmontanus gezüchtet. Sie gilt als besonders ergiebig. Südamerika, Griechenland, Spanien, Italien, Frankreich, auch Deutschland – überall entstehen Zuchtfarmen. Kaviar ist nicht mehr ein lokales Produkt, sondern ein globales Ergebnis von Know-how. Ohne viel Lärm im Handel oder den Medien wurde das Trio »Beluga, Sevruga, Ossietra« durch allerlei »Selektionen« – meistens mit Beinamen wie »Royal« oder »Prestige« versehen – ersetzt.
Die verschiedenen Produkte haben immerhin gemeinsam, dass die Verkäufer allesamt betonen, ihr Produkt sei mindestens so gut wie der Kaviar wild lebender Fische. In Frankreich, wo nahe Bordeaux der sibirische Stör Acipenser Baeri gezüchtet wird, erzählt man sogar eine schöne Legende: Demnach hätte vor hundert Jahren eine russische Prinzessin die Franzosen auf den Wert der schwarzen Fischeier hingewiesen. Bis zu diesem Besuch der Adligen verfütterten die Bauern der Region den Kaviar aus den überreichlichen Stör-Beständen an ihre Enten. Ja, schön war sie, die gute alte Zeit, als Kaviar und Trüffel noch mit Entenfüßen getreten wurden.
Die ersten Zuchtversuche waren – milde ausgedrückt – ernüchternd: Der so gewonnene, »edle« Kaviar müffelte nach Brackwasser. Einige Züchter – aber bei Weitem nicht alle – haben seitdem Fortschritte gemacht. Zusammen mit einem Kollegen, Jean-Claude Ribaut von »Le Monde«, einer Winzerin und zwei Importeuren haben wir deshalb einmal sechs Sorten Zuchtkaviar verglichen. Sie stammten aus China, Uruguay, Spanien, Frankreich und Bulgarien. Fast alle Zuchtkaviare enthalten die Additive E 284, 285, Borax und Borsäure, giftige Stoffe, die nur im Kaviar erlaubt sind – weil die Behörden bei diesem Lebensmittel keine Überdosierung befürchten.
Der bei weitem Beste kam aus China, dicht gefolgt vom Spanier, direkt dahinter platzierte sich wieder ein chinesischer Kaviar. Angeblich werden die China-Störe der Sorte Schrenki in Hochgebirgsseen gezüchtet, und iranische Fachleute würden den Kaviar dann sieben und verlesen. Dafür lege ich weder meine Hand noch meine Zunge ins Feuer, aber immerhin, die Störeier schmeckten und bestachen noch dazu durch eine fast bronzene Farbe. Eine schnelle Prüfung durch einen Freund in Peking bestätigte mir, dass China-Kaviar ein reines Exportprodukt ist. Im Lande selbst findet man ihn höchstens in Lebensmittelgeschäften für Ausländer. Zudem hat Kaviar keinen Platz in der chinesischen Küche. Immerhin haben die Hersteller – und das rechne ich ihnen hoch an – auf allzu breites Wortgeklingel verzichtet. Es wäre so einfach gewesen: »Nach dem Kaviar des Zaren, nach dem Kaviar des Schah von Persien kommt jetzt der Kaviar des letzten Kaisers!« Aber was nicht ist, kann ja noch werden, etliche Importeure haben eine fantastische Begabung, ganze Märchenbände um gastronomische Produkte zu erdichten.
Übrigens arbeiten viele gute Restaurants schon mit dem China-Kaviar, ohne es ihren Gästen zu verraten. Wahrscheinlich fürchten sie das »billige
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