100 Prozent Anders
raus. 5 000 Menschen jubelten zum Eröffnungssong. Wir hatten Spaß.
Nach dem ersten Titel begrüßten wir normalerweise das Publikum. Ich rief: „Guten Abend Wolfsburg“ – und Dieter sagte … nichts!
Er sagte NICHTS. Kein „Guten Abend“, kein „Hallo“, kein „Wie geht’s euch?“, einfach nichts.
Was war das denn jetzt wieder? Hatte er nicht vor zwei Stunden noch gesagt, wir sollten mehr Entertainment machen, mehr und bewusster mit dem Publikum reden. Er sagte nichts. Er sagte auch während der gesamten Show NICHTS. Kein „Danke“, keine Songansage, noch nicht mal: „Leckt mich doch alle mal.“ NICHTS.
Ich stand auf der Bühne und versuchte mit allen Mitteln, eine gute Show zu machen. Innerlich kochte ich vor Wut.
Wir verließen vor der Zugabe die Bühne, und da platzte es aus mir heraus: „Hat man dir eigentlich in dein Gehirn geschissen? Du kannst nicht mehr ganz dicht sein. Wir reden darüber, auf der Bühne mehr zu ‚reden‘, und du hältst deine Schnauze? Du musst einen Knall haben.“ Daraufhin nahm Dieter seine Gitarre und zerschmetterte sie auf dem Boden des hinteren Bühnenbereichs. Wir mussten raus zur Zugabe. Sofort war der Backliner da, eine Person, die hinter und auf der Bühne für die Instrumente zuständig ist, und gab ihm eine neue Gitarre. Und ich schrie nur: „Du schiebst jetzt deinen Arsch auf die Bühne und machst eine Zugabe. Schließlich können die Menschen draußen nichts dafür, dass du total bescheuert bist.“
Wir spielten die Zugabe. Dieter verschwand anschließend sofort in seiner Limousine und begab sich auf den Weg nach Hamburg.
Zehn Minuten später erhielt ich eine SMS von ihm auf meinem Handy. „Alle Jobs bis September abgesagt.“ Ich antwortete nur: „Tu, was du nicht lassen kannst.“
Es wurden Auftritte in Höhe von über 400 000 Euro abgesagt und unterschriftsreife Verträge ad acta gelegt. Ich konnte damit leben, aber wir trugen auch Verantwortung für unsere Musiker und Techniker und gegenüber den Veranstaltern, die uns gebucht hatten.
Ich vermute, er wollte lieber mit seiner neuen Flamme Stefanie ein paar Monate auf Mallorca verbringen und hatte keinen Bock mehr, zwischen der Insel und Deutschland hin und her zu fliegen.
***
Nach ein paar Wochen hatte sich Dieter beruhigt. Endlich durften wieder Auftritte angenommen werden. Ich wurde aber misstrauisch. Was kam wohl als Nächstes? Was würde abgesagt oder verlegt werden, nur weil ihm irgendetwas nicht passte? Es begannen schwierige Zeiten.
Wir hatten Spätsommer 2002, und ich war seit einigen Wochen stolzer Vater eines Sohnes. Ich genoss dank meines Berufes den Luxus, sehr viel Zeit mit meiner Frau und meinem Sohn Alexander verbringen, die ersten Wochen mit der neuen Familie genießen und sich in ein neues Leben einleben zu können. Alexander brachte unser Leben komplett durcheinander. Ich weiß noch, wie wir ein paar Wochen nach seiner Geburt mit Freunden zum Mittagessen verabredet waren. Unser Lunch war für 12.30 Uhr angesetzt. An was musste man nicht alles denken, wenn man zum ersten Mal mit seinem Neugeborenen „ausging“. Windeln, Nahrung, Babywasser, eine zweite Garnitur, wenn ein Malheur passierte, mehrere Nuckel, falls welche in den Dreck fielen, Babyspielzeug, Creme und so weiter. Meine Frau und ich lachen heute noch darüber. Man schleppte Sachen mit sich herum, als würde man auf Weltreise gehen, dabei lag das Lokal nur rund 1 700 Meter von unserem Zuhause entfernt.
Es war auch „Murphy‘s Law“ geschuldet, dass genau zu dem Zeitpunkt, zu dem man das Haus verlassen wollte und den Kinderwagen gerade gesattelt hatte, das Kind sich in die Windeln machte. Wir kamen zwei Stunden zu spät, und ich danke heute noch meinen Freunden, dass sie es mit Humor nahmen.
***
Modern Talking hatte eine Show in Wien. In der Garderobe erzählte mir Dieter zum ersten Mal Genaueres über „Deutschland sucht den Superstar“. Dass er Juror in einer Casting-Show würde, die aus England kam und unter Simon Fuller extrem erfolgreich sei. Er wisse aber nicht, ob es die richtige Entscheidung sei, da er nicht abschätzen könne, ob die Sendung erfolgreich werden würde. Er produziere dann auch den Gewinner, und er mache sich schon darüber Gedanken, dass er jetzt viele Wochenenden in der Jury sitzen müsse. Im Nachhinein glaube ich Dieter nichts von alledem. Von der Unsicherheit und den vielen Gedanken. Er will immer nur die Einstellung des Gegenübers austesten. Seine Meinung steht zu dem
Weitere Kostenlose Bücher