100 Tage Sex
blieben wir Eltern - und unsere kleinen Elfen konnten uns ziemlich um den Finger wickeln. Uns war klar, dass wir uns auf ein Drahtseil begaben, wenn wir den beiden erlaubten, so spät abends noch zusammen zu spielen, aber wir erlagen einfach ihrem Charme. Und Minuten später hörten wir sie in Gingers Zimmer lachen.
Dann klickte es wieder, Ginger kam herein und wollte »Sandmännchen-Sand« (Talkumpuder in einer hübschen lila Dose, den wir manchmal über die Mädchen streuten). Den, sagte ich, gebe es aber nur für Mädchen, die in ihrem eigenen Bett lägen. Es folgten Diskussionen, Gebrüll und Gezeter. Bis Joni schließlich ruhig im Bett lag, verging eine halbe Ewigkeit. Endlich konnte ich in unsere kerzenschimmernde, nach Räucherstäbchen duftende Zuflucht zurück.
»Ich frage mich, wie Eltern überhaupt zu einem regelmäßigen Sexualleben kommen sollen«, sagte ich. »Ständig ist man gefordert. Das strengt unheimlich an.«
Annie hielt ein Lehrvideo für Sex in die Höhe, das ich in der Arbeit abgestaubt hatte - solches Zeug bekam ich oft von Publicityleuten zugesandt, seit ich über Sexthemen schrieb. »Heute?«, fragte sie.
Hardcorepornos hatte Annie gar nicht gemocht, aber das hier gefiel ihr: Silikonfreie Frauen und Männer, die nicht aussahen wie Ex-Knackis mit Pringles-Dosen. Einige Männer wirkten eher wie Muttersöhnchen. Einer von ihnen, mit einem lächerlich buschigen Bart, quiekte, als er zum Höhepunkt kam. Wir saßen auf dem Bett und kringelten uns vor Lachen. Am Ende des Videos waren wir in Stimmung. Glauben Sie aber bitte nicht, der Porno hätte uns heiß gemacht. Quiekende Rübezahls brachten uns zum Lachen, aber nicht in Fahrt. Dazu brauchten wir keine DVD.
Am nächsten Morgen fuhren wir ins Stadtzentrum, zu einem »Theatercamp«, einer weiteren Veranstaltung für Kinder, von denen es in unserer Welt nur so wimmelte.
Klar gab es auch Zerstreuung für Erwachsene, aber die Bildung und Förderung der Kinder beanspruchte einen wachsenden Anteil unseres Lebens. Wie eine eingeschleppte Pflanze ohne natürliche Konkurrenz überwucherte »Förderung« allmählich alles und raubte Eltern jede Zeit für eigene Vergnügungen. Man traute sich gar nicht mehr, einfach nur spazieren zu gehen und sich die Landschaft anzusehen. Selbst bei Kindergeburtstagen war die Anwesenheit der Eltern (laut Einladung) sehr willkommen.
Natürlich mussten wir diesen Zirkus nicht mitmachen - unsere Elterngeneration war sehr gut ohne ihn ausgekommen. Aber im Bereich der Kindererziehung spielen Schuldgefühle eine gewaltige Rolle, nicht nur bei uns, sondern in einer Unzahl Familien. Jede Lebensäußerung ist von Ehrgeiz und Konkurrenzdenken durchwoben. Das führt dann zu (fiktiven) Gesprächen wie diesem: Schau mal, wie sie bei »Alle meine Entchen« mitklatscht. Ich glaube, sie ist ein musikalisches Wunderkind! Ich sehe schon, wie sie später die erste Geige bei den New Yorker Philharmonikern spielt! Aber wir müssen sofort mit Musikunterricht anfangen! Wenn wir es nicht tun, ergattern die Kinder ehrgeizigerer Eltern die Orchesterplätze. Unser Kind hat dann ein unbefriedigendes Leben, und uns trifft die Schuld!
Lächerlich? Ja - aber nicht total aus der Luft gegriffen. Angenommen, es gibt achtzig Millionen Familien mit kleinen Kindern in den Vereinigten Staaten. Wenn auch nur ein Viertel dieser Familien von Schuldgefühlen und Konkurrenzdenken angetrieben wird, dann führen zwanzig Millionen Familien regelmäßig Gespräche wie das obige, mindestens, sagen wir, viermal die Woche. Folglich beträgt die Gesamtzahl solcher Dialoge in den USA pro Jahr vier
Milliarden. Obwohl, ich schätze, die Zahl liegt in Wirklichkeit viel höher. Wie dem auch sei, Sie verstehen schon, was ich meine. Die Familie ist für viele ein schneller Brüter für Nobelpreisträger geworden.
Der Fairness halber sei betont, dass wir unsere Kinder sehr, sehr lieb haben, aber genau diese Liebe trägt zu einer derartigen Entwicklung entscheidend bei. Wir wollen schlicht das Beste für die Kids. Also stürzen wir uns, wie zahllose andere Familien in unserem Umfeld auch, in die verschiedensten Aktivitäten: Unterricht für dies und das, Freizeitlager, Sportveranstaltungen - kurz, in alles, was das kindliche Selbstwertgefühl, die Intelligenz, künstlerische Begabung oder sportliche Fähigkeiten fördert.
Im Theatercamp sammelten sich Rudel kleiner Kinder, die ihren antiautoritären Lehrern auf der Nase herumtanzten. Ginger spielte Theater für
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