100 Tage Sex
hier im Westen sehr wohl.«
Ich nickte, obwohl ich ihr kaum zugehört hatte. Sie trippelte zur Dusche, und ich dachte: Ich gebe auf. Sie gewinnt. Soll sie doch ihren tollen Westen haben. Dann verbringe ich halt mein restliches Leben dort, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen. Ich steigerte mich immer mehr hinein. Als Annie ins Schlafzimmer kam, ignorierte ich sie erst, dann giftete ich sarkastisch, dass es mir »ein Vergnügen« sein würde, den »Rest meines Lebens an einem Ort zu verbringen, der an die Hochlagen der Mongolei erinnert, mit seiner Baumlosigkeit und seinem gnadenlosen, trockenen Klima«.
»Das ist Quatsch«, antwortete Annie. »Ich habe für heute genug Kindererziehung hinter mir. Sag Bescheid, wenn du wieder im Land der Erwachsenen angekommen bist.« Und ging.
Ich erspare Ihnen hier den Rest meines peinlichen Kollers; eine halbe Stunde lang suhlte ich mich im Selbstmitleid, noch in der Dusche wälzte ich schwärzeste Gedanken. Schließlich kam Annie ins Zimmer zurück, stieg ins Bett und versuchte, vernünftig mit mir zu reden, wie Erwachsene das so tun. Die Gute entschuldigte sich sogar bei mir, was mich endlich zur Besinnung brachte. »Ganz im Gegenteil«, sagte ich. »Ich schulde dir eine Entschuldigung.« Und die lieferte ich dann auch.
»Ach, wäre Amerika doch kleiner«, stöhnte Annie. Diesen Satz hatte Annie schon vor einem Jahrzehnt geprägt und seitdem alle paar Monate mal wiederholt. »Warum müssen West- und Ostküste auch weiter als eine Stunde auseinanderliegen?«
»Du hast so Recht! Wenn er nur eine Stunde von meiner Familie entfernt läge, hätte ich überhaupt nichts gegen den Westen.«
Diese Unterhaltung zog sich hin bis exakt halb zwölf. Es blieben uns also nur noch dreißig Minuten für Sex, bis der nächste Tag offiziell anbrach. Der Streit war beigelegt, die Zeit drängte, also machten wir, dass wir in die Gänge kamen.
Am nächsten Morgen beschloss ich, die Versammlung zu schwänzen. Wir brachten die Mädchen in Kindergarten und Schule, dann ging ich mit Annie zum Yoga. Es war Annies Vorschlag gewesen, die Gelegenheit zu nutzen und einmal gemeinsam zu gehen. Wäre die Entscheidung ganz allein bei mir gelegen, hätte ich mir für meinen freien Tag sicher etwas anderes ausgesucht als Yoga. Ich hätte vielleicht eine große Portion Fish & Chips vorgeschlagen, hinuntergespült mit zwei, drei Guinness, gefolgt von leicht beduseltem Sex daheim.
Doch wegen der Sache am Abend zuvor fühlte ich mich irgendwie schuldig, und allein mit der ausgesprochenen Entschuldigung war es nicht getan. Also willigte ich in Yoga ein. Und so saßen wir dann im Übungsraum, mit einem ganzen Haufen Leute aus unserer Nachbarschaft. Eineinhalb Stunden später erkannte ich, wie klug Annies Vorschlag gewesen war: Ich fühlte mich kräftig. Gelenkig. Und sehr geil.
Glücklicherweise ging es Annie ebenso. Kaum hatten wir das Haus betreten, stürmten wir schon nach oben. Wir duschten (getrennt; die Nasenepisode hatte dem gemeinsamen Duschen die Erotik geraubt), dann umarmten wir uns zwischen den Laken. Hell schien das Sonnenlicht in unsere Sexhöhle. Und schon bald lagen wir keuchend nebeneinander.
»Was für eine Art, den Tag zu beginnen«, sagte ich. »Yoga und Sex.«
»Ich fühle mich, als hätte ich einen Tag in einer Wellnessoase verbracht«, staunte Annie.
Eigentlich hatten wir ja vorgehabt, etwas zu unternehmen, beispielsweise spazieren zu gehen. Stattdessen kuschelten wir im Bett - und wachten ein paar Stunden später wieder auf. Ein gemeinsames Mittagschläfchen hatten wir seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht, wahrscheinlich nicht mehr, seit wir vor zwei Jahren Baltimore verlassen hatten. Wir genossen es: Donnerstagnachmittag, allein daheim, Sex und Siesta und danach einfach rumhängen.
Hätten wir für die Dauer des Marathons vorwiegend daheimbleiben und, vom Hotelzimmer in Las Vegas abgesehen, immer nur im häuslichen Bett Sex haben können? Denkbar. Doch klüger war es, wie Annie bei der Vorbereitung auf den Marathon richtig erkannt hatte, gelegentlich einen heißen Wochenendausflug einzustreuen, um, wie sie es ausdrückte, »die Sache interessant zu halten«. Neue Umgebungen, selbst einfache Motelzimmer, hatten unser Sexleben schon immer belebt.
Tatsächlich prägte Urlaubssex auch die Art, wie unser Leben verlief. Anfang der 1990er quälten wir uns durch den Winter von Minnesota, ich mit meinem weiterführenden Studium, Annie arbeitete an der örtlichen Universität. Im
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