Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

100 Tage Sex

Titel: 100 Tage Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Brown
Vom Netzwerk:
eher eine ausgedehnte Meditation mit ein wenig Gymnastik, keine Abfolge von Krümmungen, Dehnungen, Beugungen, wie wir sie aus Stapleton kannten. (Vermutlich werden echte Yogafans jetzt behaupten, das Aschram-Yoga sei authentischer und somit besser gewesen.)
    Nach der Sitzung eilten wir durch die Dunkelheit zu unserer Hütte zurück, zogen uns etwas Yogafreies, Jeansloses
an und kämpften uns durch heulenden Wind und Eiseskälte zum Tempel vor. Auf dem Plan stand schlicht »Meditation«, was uns an ein paar still auf Kissen sitzende Leute in einem Nebenraum denken ließ.
    Wir öffneten die Tür. Überall flackerten Kerzen, der Duft von Räucherstäbchen zog durch den großen Raum, der von Wänden aus groben Holzstämmen eingerahmt wurde. Das vordere Ende des Tempels wurde von gigantischen, girlandengeschmückten Statuen beherrscht. Umgeben waren sie von überladenen Schreinen, in die irgendjemand Polaroidfotos, Muscheln und seltsamerweise auch Schokoriegel gelegt hatte. Über uns thronten riesige Fotos indischer Yogis. Tatsächlich hockten die Leute auf Kissen, doch es herrschte keine Stille. Eine Gruppe Aschram-Bewohner in weißen und orangefarbenen Roben spielte auf ausgefallenen Instrumenten wie Harmonium und Ukulele und sang dazu. Es war laut.
    Annie und ich suchten uns Kissen und bewunderten die Szene, bis ein großer, magerer Kerl mit Bart und weißer Robe den vorderen Teil des Raums betrat, sich hinkniete, sich dann verbeugte und mit gekreuzten Beinen hinsetzte. Die Augen hielt er geschlossen. Die Musik erstarb. Lächelnd öffnete er die Augen und redete eine Zeit lang über »Ego«. Er erklärte, heute Abend müssten wir alle unser Ego mal vergessen und tanzen. Tanzen? Ich tanze gern, aber nur in verdunkelten Räumen und absoluter Anonymität. Annie geht es noch schlimmer: Sie kann nicht tanzen - bei ihr gehen Körper, Geist und Musik keine Verbindung ein. Wir haben nur ein einziges Mal miteinander getanzt: auf unserer Hochzeit, und das auch nur, weil die Gäste lautstark danach verlangten. Damals hatte ich mich
wenigstens vorher innerlich stählen können. Aber heute? Wer erwartete schon, dass er an einem Meditationsabend würde tanzen müssen? Ich begann, mich nach ein wenig Stille zu sehnen.
    Dann erschien ein wild gelocktes Mädchen mit gerötetem Gesicht, seligem Lächeln und einem Tablett Kerzen in der rechten Hand. In der Linken hielt sie ein Glöckchen. Sie ging auf den Fries mit Statuen und Altären zu und begann sich zu wiegen, dabei hielt sie das Tablett den Göttern entgegen und bimmelte mit der Glocke. Ein paar Augenblicke später stellte sie das Tablett ab, nahm eine Pferdebürste und schwenkte sie tanzend vor den Statuen. Das Gleiche tat sie mit einem roten Regenschirm, einem Fächer aus Pfauenfedern und einem Schal. Dann übergab sie das Tablett einem Gast und verteilte die restlichen Requisiten an andere. Die Betreffenden standen auf, wiegten sich mit der Musik, schlurften quer durch den Raum und wedelten mit ihren Dingen den Göttern zu. Himmel hilf!, dachte ich. Jetzt gibt mir gleich einer dieser Hippies einen Gegenstand. Und dann erwarten die Leute, dass ich für einen Haufen Statuen tanze.
    Das alles erinnerte an eine absurde Kunstperformance. Dennoch beteiligten wir beide uns schüchtern und mit klopfendem Herzen daran, als wir an der Reihe waren - und seltsamerweise gefiel es uns. Außerdem wollten wir ja keine Hindu-Gottheit erzürnen und so womöglich noch einen Fluch auf unseren Marathon laden …
    Nach dem Tanz wies uns der Bärtige an, ein bestimmtes Mantra im Geist wieder und wieder aufzusagen. Still saßen wir da, hörten zu, wie der Wind durch die Bäume pfiff und an den Wänden des Tempels rüttelte. Dann stand der
Mann auf, und es war vorbei. Jemand öffnete die Tür nach draußen, und ein arktischer Wind fegte in den Raum. Wir wanderten in eine dunkle Nacht hinaus, die irgendwie noch kälter schien als zuvor, hinüber zum großen Speisesaal der Gemeinschaft. Einige der Dauerbewohner von Shoshoni servierten vegetarische Lasagne und Salat und danach Limettenkuchen; alles schmeckte köstlich. Immer mehr Leute drängten in den Speisesaal, eine merkwürdige, zusammengewürfelte Gesellschaft. Hippies, der glatzköpfige Schurke, Rentner. Eine Frau, die mir gegenübersaß, verriet, dass sie aus Sibirien stammte.
    » Dem Sibirien. Dem echten.«
    Sie muss sich wie zu Hause gefühlt haben.
    Durch die fiese Kälte huschten wir zu unserer Hütte, wo wir sofort die Weinflasche öffneten,

Weitere Kostenlose Bücher