100 Tage Sex
Tantric Lounge -CD ein, die Annie gekauft hatte. Annie trug süße gestreifte Reizwäsche, trank Sprudel auf Eis und knabberte an edler dunkler Schokolade, die ich bei TJ Maxx besorgt hatte. Ich trug Pyjama und Gatsby-Morgenrock und verströmte Moschusduft. Ausgiebig massierten wir uns gegenseitig. Wir küssten uns. Und dann begann sie, mir einen runterzuholen - reiner Zufall, denn ich hatte vergessen, ihr die Geschichte mit der Gleitmittelhand zu erzählen; erst hinterher holte ich das nach. Warum auch immer, ihre langsamen, fast schon melodischen Bewegungen erregten mich mehr als irgendein »Handjob« zuvor es je getan hatte.
Hinterher erzähle Annie verblüfft: »Die Leute kommen mit Fragen zu mir, als wäre ich eine Art Sex-Expertin. Eine Sexpertin sozusagen. Meine Freundin Amy bat mich, ein Stimmungsset für sie und ihren Mann zusammenzustellen. Die beiden fahren nach Hawaii, ohne die Kinder. Eine schwierige Aufgabe. Ich habe ihr eine Packliste geschickt.«
»Packliste?«
»Silikon-Gleitmittel, Reizwäsche, so Zeug eben. Vielleicht schicke ich ihr auch ein Care-Paket.«
Noch vor zwei Monaten wäre solch eine Situation unvorstellbar gewesen: Freundinnen bitten Annie um Sextipps. Es wäre dumm gewesen, wenn ich mich darüber aufgeregt hätte, denn wenn Annie zur Sex-Expertin wurde, dann darum, weil sie das mit einer Person auslebte: nämlich mit mir. Mit einer Sex-Expertin verheiratet zu sein, das war natürlich, als wäre man mit einer Masseurin verheiratet, einer Eismacherin oder einer Frau mit eigener Kneipe, in der Fish & Chips und selbst gebrautes Bier serviert wurde.
Am nächsten Tag trieb ich mich in den Räumen der Studentenvertretung der University of Colorado herum, auf der Suche nach Studenten, die ich zum Thema Sex auf dem Campus befragen könnte. Mein ganzes Leben schien sich nur noch um Sex zu drehen. Er war zum zentralen Thema meines Lebens geworden, zum Inhalt endloser Gespräche und abendlicher Tagebucheinträge. Doch die wenigsten Leute plaudern ungezwungen über ihr Geschlechtsleben, selbst Studenten nicht. Ich fürchtete schon, wenn ich mich Studentinnen näherte und sie über ihre Bettgewohnheiten befragte, würden sie in mir keinen Reporter sehen, sondern einen erbärmlichen alternden Wüstling.
»Sicherheitsdienst! Sicherheitsdienst! Hier treibt sich ein Perverser herum!«
Daher erklärte ich vor meinen Fragen lang und breit mein seriöses Interesse und zeigte meinen Presseausweis her. So vermied ich, irgendjemanden zu erschrecken. Erwartungsgemäß erfuhr ich, dass Sex auf dem Campus fast allgegenwärtig war. An Wochenenden gingen vor allem die
jüngeren Semester auf Partnersuche. Um Männer zu erregen, küssten Frauen sich auf Partys und in Bars ganz ungezwungen - und wir reden hier nicht von Küsschen, sondern von ausgiebigen erotischen Zungenküssen. Johlend feuerten die Männer sie dabei an. Eine Studentin erklärte, es sei viel schwieriger, mit einem Mann Händchen zu halten, als einfach mit ihm zu schlafen. »Händchenhalten bedeutet, dass man sich gern hat«, sagte sie. »Sex bedeutet gar nichts.«
All das schockierte mich anfangs, andererseits konnte mich nach dem Programm der letzten Wochen - Domina und Folterkeller, Pornomesse, Sexshops, Stripakademie und natürlich gebleichte Polöcher - nichts mehr erschüttern. Was mich so verblüffte, war wohl die Tatsache, wie beiläufig derartige Dinge erwähnt wurden, von jungen Leuten, die oft so brav aussahen, als sängen sie im Unichor; meine Gesprächspartner trugen Jeans und Collegepullover, ein breites Grinsen im Gesicht und Physik- oder Politikwissenschaftsbücher unter dem Arm. Es hätte mich nicht überrascht, wenn die Studentinnen Collegeschuhe und gerüschte Söckchen angehabt hätten. Doch sehr bald fiel mir meine eigene Studentenzeit vor zwanzig Jahren in Washington, D.C., wieder ein. Von den »lesbischen« Küssen mal abgesehen hatte sich im Grunde nicht viel verändert: Junge Männer und Frauen verbrachten wie früher schon einen Großteil ihrer Zeit auf der Suche nach Sex. Auch damals hatte Sex manchmal nichts bedeutet, Händchenhalten hingegen sehr wohl.
An den Unis war also alles beim Alten geblieben. Doch Annie und ich strebten jetzt auf andere Art nach Sex. Wir suchten nicht mehr nach neuen Sexualpartnern, unser Ziel
war Sex mit dem einen festen Partner. Das hatte seine Vorteile - vornehmlich den, dass ein wichtiger Bestandteil der Sexgleichung, nämlich der Partner, bereits feststand. Es entfiel also die
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