100 Tage Sex
sinnlichen König beherrscht wurde. Nachdem ich wieder langsam auf die Erde zurückgeschwebt war, unterhielten wir uns noch eine Stunde lang.
Der Prozess machte mir erst wieder klar, wie gut ich es hatte.
Der Angeklagte war ganz offenkundig schuldig. Man konnte sich vorstellen, was für eine Abfolge von Enttäuschungen sein bisheriges Leben gewesen sein musste. Und
hier saßen wir Geschworene in einem fensterlosen Beratungszimmer, bereit, ihm den nächsten Schlag zu verpassen. Wir waren uns im Grunde einig, dass er zweifellos in eine Wohnung eingebrochen war und Dinge gestohlen hatte. Doch einige Mitgeschworene stellten sich quer. Eine Frau war fest davon überzeugt, dass der Angeklagte hereingelegt worden sei, und dachte sich unfassbar komplizierte und unwahrscheinliche Szenarien aus, wie ihm »die Schuld in die Schuhe geschoben« worden sei.
Es war surreal. Ich dachte: Das gibt’s doch nicht! Wie kommt überhaupt jemals ein Schuldspruch zustande?
Ein weiterer Geschworener widersetzte sich ebenfalls jeglicher Logik. Die Sachlage war völlig klar, dennoch behauptete er steif und fest, ein anderer hätte den Einbruch ebenso gut begehen können. Nach über einer Stunde kleinlichem Gezerre, das sich ständig im Kreis drehte, gaben die beiden Widerständler schließlich nach: Ja, räumten auch sie ein, der Angeklagte habe das Verbrechen begangen.
Vor dem Prozess waren wir uns alle nie begegnet. Keiner von uns hatte eine juristische Ausbildung. Es gab niemanden, der die Diskussion leitete, keinen Grund, die Angelegenheit zu verschleppen oder einen Mitgeschworenen zu beeindrucken. Wohl aber spürten wir den Druck, der auf uns lastete: In unseren Händen lag die Zukunft dieses jungen Mannes. Niemand zwang uns dazu, gleicher Meinung zu sein. Unsere Pflicht bestand lediglich darin, die Angelegenheit miteinander zu besprechen, ohne die treibende Kraft, die hinter den meisten Gesprächen steht: persönliche Motive. Hier ging es nicht darum, Punkte in einer Debatte zu sammeln, sondern im Namen der Wahrheit und des Gemeinwohls zusammenzuarbeiten.
Während unseres Marathons spürte ich, wie unsere gemeinsamen Gespräche, möglicherweise notgedrungen, zusehends vom »Gemeinwohl« bestimmt wurden, weniger von unseren jeweils eigenen Interessen. Wir wollen heute Abend Sex? Dann müssen wir erst in die Stimmung dafür kommen. Streit? Muss ausgeräumt werden, bevor die fleischlichen Beziehungen wieder aufgenommen werden. So hatten wir es bereits gehalten, als ich mich wegen der Trennung von meinem Clan im Selbstmitleid gesuhlt und auf Annie eingehackt hatte. Und es hatte funktioniert; wir hatten den Konflikt nicht unter den Teppich gekehrt, sondern später in aller Ruhe ausdiskutiert.
Als ich vom Gericht nach Hause kam, stand Annie mit Schürze am Herd (Warum sieht das so verdammt sexy aus?) und buk Madeleines. Die Kinder saßen auf Hochstühlen am Küchentresen und halfen mit. Küsschen links und rechts, als ich das Haus betrat. Abendessen, Kinder zu Bett bringen, das Übliche. Als sie schliefen, absolvierte ich mein Krafttraining. Und zum ersten Mal seit Schulzeiten konnte ich an Armen und Bauch, Brust und Oberschenkeln etwas erkennen, das man »Definition« nennt.
»Ich kann es kaum glauben«, sagte ich zu Annie, die gerade in ein neues Stück Reizwäsche schlüpfte, das sie bei Target erstanden hatte. »Ich spüre tatsächlich Muskeln.«
»Und ich sehe sie. Sieht richtig attraktiv aus«, sagte sie. »Den Bodybuilder-Look habe ich nie gemocht, aber ein fester Körper gefällt jeder Frau.«
Geduscht und eingecremt (Moschus) stieg ich ins Bett und plauderte ein Stündchen mit Annie. Danach betraten wir die Sphäre der Erotik. Doch Betreten ist etwas ganz anderes als darin Herumtollen.
»Bei mir läuft’s heute nicht«, sagte Annie schließlich und brach den Kuss ab. »Weiß auch nicht, warum.«
»Was kann ich tun?«
»Im Moment gar nichts. Lass uns einfach noch ein wenig reden.«
Wir unterhielten uns über die Kinder. Wir besprachen die seltsamen Rülpsgeräusche, die unser Subaru von sich gab. Yoga? Fernöstliche Religionen? Abgehakt. Ich wäre nicht besonders überrascht gewesen, wenn wir auch noch das Thema Freilandrinder angeschnitten hätten. Doch wieder bestimmte die Uhr, wie der Abend enden würde: nicht mit einer Liste unserer liebsten Pastasoßen, sondern mit Sex.
»DJ, du kannst jetzt loslegen«, sagte Annie eine Viertelstunde vor Torschluss. Wir küssten uns aufrecht auf dem Bett sitzend und ließen
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