Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1.000 Euro für jeden

Titel: 1.000 Euro für jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz W. Adrienne; Werner Goehler
Vom Netzwerk:
Großeltern – über Wasser zu halten.
    Als sich gegen Ende des Jahrhunderts die Notlage vieler Menschen so sehr verschlimmerte, dass mit Umsturz und Revolution zu rechnen war, ergriff der damalige Reichskanzler Otto von Bismarck zur Sicherung des sozialen Friedens die Initiative: Mit einer staatlichen Sozialpolitik wollte er die Lage der Arbeiter verbessern und so vor allem den Einfluss der Sozialdemokratie zurückdrängen, die seine Macht im Kaiserreich gefährdete. Unter ihm wurden deshalb in den 1880er Jahren nicht nur eine Kranken- und eine Unfallversicherung, sondern auch eine Alters- und Invalidenrente eingeführt.
    Die Bismarck’sche Alters- und Invaliditätsversicherung von 1889 basierte auf dem Prinzip der kapitalgedeckten Altersvorsorge: Jeder Arbeiter über 16 Jahre (mit einem Einkommen bis zu 2000 Mark im Jahr) musste einen Teil seines Einkommens als Alterssicherung zurücklegen. Im Gegenzug bekam er mit der Vollendung des siebzigsten Lebensjahres – allerdings nur, wenn er dreißig Jahre lang eingezahlt hatte – eine Rente bewilligt, deren Höhe sich nach dem Verdienst eines Arbeiters richtete. Träger der Versicherung wurden die neu geschaffenen Landesversicherungsanstalten. Diese wurden durch geteilte Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber und einen Reichszuschuss von fünfzig Mark im Jahr finanziert.
    Die Bismarck’schen Sozialgesetze waren heftig umstritten, denn bislang hatte sich der Staat völlig aus allen sozialen Angelegenheiten herausgehalten. Jeder hatte für sich selbst sorgen müssen. Die aktuellen Diskussionen über eine gesetzliche Krankenversicherung in den USA wurden Ende des 19. Jahrhunderts hierzulande geführt: Die Liberalen stellten sich – ganz wie heute noch – gegen jede Form staatlicher Unterstützung. Sie forderten Freiheit und Selbständigkeit der Arbeiter, nach dem Motto »Hilfe durch Selbsthilfe«. Die Unternehmer befürchteten, durch die Mehrbelastung Gewinneinbußen zu erleiden, und die katholische Zentrumspartei klagte, dass die staatliche Hilfe die christliche Pflicht zur tätigen Nächstenliebe unterhöhle. Dis Diskussionen zogen sich über fast zehn Jahre hin, doch am Ende setzte Bismarck sich durch. Unter dem unmittelbaren Eindruck eines aufsehenerregenden Streiks von Bergarbeitern im Ruhrgebiet verabschiedete der Reichstag am 24. Mai 1889 das Gesetz über die Alters- und Invalidenversicherung. Zuvor waren Arbeiter, wenn sie durch einen Unfall oder altersbedingt arbeitsunfähig wurden, noch in ihrer Existenz bedroht gewesen. Nun waren 4,7 Millionen gewerbliche Arbeiter gesetzlich versichert.
    1891 wurden die ersten Renten ausgezahlt, insgesamt 265000 Mark an 152000 Rentner. Das war wenig Geld – aber auch für sehr wenige Menschen. Die Perfidie des Bismarck’schen Rentensystems, das ja in Wahrheit eher politische als soziale Ziele verfolgte, lag darin, dass nur die Allerwenigsten überhaupt siebzig Jahre oder älter wurden. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag Ende des 19. Jahrhunderts bei 35 Jahren für Männer und 38 Jahren für Frauen.
    Die Idee der Staatsrente hatte sich trotzdem durchgesetzt, und in den folgenden Jahrzehnten wurde sie nur unwesentlich verändert. Die Lage des Proletariats verbesserte sich; die Lebenserwartung der Menschen stieg; die Kinderarbeit wurde beschränkt, Sonntagsruhe verordnet und eine Maximalarbeitszeit von elf Stunden am Tag eingeführt. Die deutsche Sozialgesetzgebung machte Schule – samt ihrer Überstrukturiertheit an Verordnungen, Unterverordnungen und Ausnahmen von den Ausnahmen. Die anderen europäischen Staaten nahmen sie sich zum Vorbild.
    Es ist in den Geschichtsbüchern nicht vermerkt, dass Menschen wegen dieser Sozialgesetzgebung plötzlich aus allen Ländern nach Deutschland geströmt wären, nur um in deren Genuss zu kommen. Damals galt, wie es heute noch gilt, dass Menschen ihre Heimat in der Regel nicht freiwillig verlassen, sondern vor Hunger, Krieg, Naturkatastrophen fliehen. Daran erinnern wir auf unseren Veranstaltungen gelegentlich, wenn die Frage auftaucht, ob denn dann »alle zu uns kommen« würden, wenn es das Grundeinkommen gebe? Und unterstreichen jedes Mal, dass durch die Einführung des Grundeinkommens kein einziges Politikfeld ersetzt wird: keine Flüchtlings-,keine Friedens-, keine Klimapolitik. Aber seine Einführung würde Politikfelder inhaltlich anders konturieren und strukturieren. Das Beispiel des Grundeinkommensdorfes in Namibia, wie wir es im nächsten Kapitel

Weitere Kostenlose Bücher