1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg
Kilometer.“
„Und was ist mit dem Regen? Ich will nicht noch mal nass werden“, antwortete ich ihr.
„Hier können wir nicht bleiben. Das nächste Refugio ist zehn Kilometer entfernt. Und — Werner — von Logroño aus fahre ich morgen per Bahn nach Hause. Ich muss Montag wieder ins Büro.“
Diese Worte hatten eine seltsame Wirkung auf mich. Ich wusste, dass ihr Aufenthalt auf dem Jakobsweg zeitlich begrenzt war. Auch, dass sie nur diese Woche hier war, hatte ich irgendwann nebenbei mitbekommen. Aber ich hatte mich nicht darauf eingestellt. Zu Hause hätte mich mein Verstand darauf vorbereitet, aber hier? Hier auf dem Jakobsweg lebte ich so sehr im Jetzt und Heute, dass ich die Heimreise von Monica erst realisieren wollte, wenn sie gehen würde. Ich dachte nach und Monica schaute mich die ganze Zeit an.
„Wenn du morgen wieder nach Hause fährst, will ich heute noch so lange wie möglich mit dir zusammen den Camino gehen.“ Ihre Augen glänzten. Sie stand auf und küsste mich.
Der Regen hatte tatsächlich aufgehört, als wir vor das Hotel traten. Wir hatten uns noch herzlich bedankt für die fürsorgliche Hilfe des edlen Hauses und gingen an einem großen Reisebus vorbei, der mit laufendem Motor auf dem Vorplatz des Hotels stand. Auf seinem großen, leuchtenden und blinkenden Schild stand da „Logroño“.
Monica erkannte die Situation, denn ich hatte ihr von den Versuchungen der bereitstehenden Busse, die meinen Weg gekreuzt hatten, erzählt. Sie lachte auf, hakte mich unter und zog mich weiter — auf den Jakobsweg.
Dieser Tag, der so „bescheiden“ angefangen hatte, zeigte sich dann doch noch von seiner guten Seite. Die leicht hügelige Landschaft trocknete langsam und wir konnten den Weg wieder fast geradeaus gehen, da die Pfützen auf den Wegen rasch abliefen und verschwanden. Wir begegneten einigen Pilgern, die sich auch sichtlich erleichtert über das schöne Wetter zeigten.
Monica und ich wanderten den ganzen Tag schweigend nebeneinander her. In der Nähe von Logroño kamen wir an einen kleinen See, der an ein Waldgebiet grenzte. Wir suchten uns einen schönen Platz unter einem Baum und teilten uns unseren restlichen Proviant.
Eine Weile schauten wir auf den See hinaus, bis Monica anfing, von ihren vergangenen Pilgerreisen auf dem Jakobsweg zu erzählen. Seit fast fünf Jahren wanderte sie bei jeder Gelegenheit auf Teilstücken „ihres“ Caminos, wie sie es nannte. Sie berichtete von Begegnungen, Ereignissen und Erfahrungen, die teils sehr intim und wundersam waren. Zum Beispiel die Geschichte eines Kanadiers, dessen Sohn einen schweren Motorradunfall gehabt hatte, und mit gebrochenem Genick im Krankenhaus im Koma lag. Die Ärzte hatten ihm keine Überlebenschance eingeräumt. Aber der Vater saß mit seiner Frau Tag und Nacht an dessen Krankenbett. Er war kein gläubiger Mensch, aber in der dritten Nacht fing er an zu beten. Er sprach zu Gott und bat ihn, seinen Sohn am Leben zu erhalten. Er wolle auch etwas Großes dafür tun.
Der Sohn überlebte und ist heute wieder ganz gesund. Und so ging dieser Kanadier, der schon früher etwas über den Jakobsweg gelesen hatte, diesen Weg. Er hatte Monica erzählt, dass er während des Wanderns fast nur am Weinen gewesen sei, weil er so dankbar über die Rettung seines Sohnes war.
Dann hatte sie einen Franzosen kennen gelernt, dessen Sohn schwer erkrankt an Leukämie im Krankenhaus lag und auf eine teure Operation wartete. Um das Geld dafür zu beschaffen, hatte sich der Siebenundsechzigjährige auf den Jakobsweg gemacht, nachdem er mit einem französischen Konzern, bei dem der Sohn beschäftigt war, eine Kilometerpauschale ausgehandelt hatte. Für jeden Kilometer, den er auf dem Jakobsweg zurücklegte, bekam er von dieser Firma eine Pauschale, so dass er am Ende, also in Santiago de Compostela, das Geld für die Operation zusammen hatte.
Nun ereignete es sich aber unterwegs, dass der Mann seine Gelenke überanstrengte und nicht mehr gehen konnte. Eine Pilgergruppe aus Deutschland kümmerte sich um ihn, hakte ihn unter und trug ihn einen Teil des Weges, bis er wieder selbst laufen konnte. Zwar unter Schmerzen, aber eigenen Fußes erreichte er sein Ziel in Santiago. Monica hatte nach ihrer Reise mit dem Mann Kontakt per Email. Seine Gelenke hatten sich nach seiner Rückkehr wieder erholt. Und sein Sohn bekam seine Operation und ist heute wieder gesund.
Diese Geschichten hinterließen bei mir einen tiefen Eindruck. Das Wandern merkte ich fast
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