1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg
einnahmen auf dem Weg nach Hause ins Bett.
Drei junge Männer frühstückten mit Bier und am Ohr eines gut gekleideten Mannes hing eine Dame aus dem horizontalen Gewerbe, die sich ein Bett für den Tag erhoffte. Ihre Kleidung war, wie ihre Körperhaltung, etwas lädiert und hier und da rutschten Körperteile heraus, die in der Öffentlichkeit besser verborgen bleiben sollten. Und mitten drin saßen Monica und ich, zwei Pilger auf dem Jakobsweg — eine bizarre Situation.
Auf dem Weg aus der Stadt heraus kamen wir in einen großen Park. Wir schwiegen. Ich bemerkte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Ich wollte mich nicht trennen und alleine weiter gehen müssen. Aber als der Park zu Ende war und der Weg wieder richtig ausgeschildert war, blieb Monica stehen. Sie sah mich an und breitete ihre Arme aus. Ich schritt auf sie zu, wir umarmten uns und sie hauchte mir ein „Buen Camino“ ins Ohr. Sie löste die Umarmung, lächelte mich mit feuchten Augen an, drehte sich um und ging.
Ich blieb noch stehen und schaute ihr nach. Und je weiter sie sich entfernte, desto mehr tat es weh. Das war ein ganz anderer Abschied, als unser erster in Puente la Reina. Wir wussten jetzt so viel voneinander und waren uns so nahe gekommen.
Wir waren gute Freunde geworden. Mir kamen die Tränen und ich hatte den kurzen Impuls ihr hinterher zu laufen, doch dann drehte ich mich um und folgte meinem anderen guten, neuen Freund, dem Camino.
Der Weg begrüßte mich mit einem herrlichen morgendlichen Sonnenschein bei angenehmen Wandertemperaturen. Ich befand mich jetzt in der Region la Rioja. Die nächsten Tage, so stand es in meinem Reiseführer, würde mich der Weg durch ein riesiges Weinanbaugebiet führen. Und tatsächlich ist der Wein aus dieser Region weltbekannt. Über zweitausend Jahre reicht die Geschichte des Weinanbaus hier zurück.
Ich wanderte durch diese schöne Landschaft und versuchte nicht an Monica zu denken. Alle meine Begleiter hatten sich in Luft aufgelöst und heute war eigentlich mein erster Tag, an dem ich richtig alleine unterwegs war.
So begegnete ich auch keinem bekannten Gesicht — außer Luis, dem Spanier und guten Geist auf diesem Teilstück des Jakobsweges. Er überholte mich in seiner gewohnt hektischen Gangart und erkundigte sich nach meinem Befinden. Kurz darauf sah ich, wie er sich um zwei ältere Damen kümmerte, die etwas orientierungslos in der Gegend herum standen. Er kam mir vor wie der ADAC vom Jakobsweg. Überall, wo jemand „liegen geblieben“ war, hielt er an und half.
Kurz nach Mittag wollte ich mir einen geeigneten Platz zum Rasten suchen, als ich am Wegrand eine kleine, offene Holzhütte entdeckte, in der einige Pilger saßen. Sie winkten mich zu sich und luden mich zum Essen ein. Ein Landwirt aus dem naheliegenden Dorf hatte mit seinem wackligen Traktor mehrere Kisten mit Obst, Wurst, Käse, Brot und — natürlich — Wein angekarrt.
„Es ist Sonntag“, sagte eine junge Frau auf Englisch „und jeden Sonntag ist aus dem kleinen Dorf eine andere Familie dran, hier am Weg den Pilgern Essen zu spenden.“ Dass Sonntag war, hatte ich gar nicht mitgekriegt, aber mir gefiel dieser Brauch sehr. Das Essen war köstlich, nur mit dem Wein musste man aufpassen, bei Sonnenschein mit dreißig Grad und noch etwa zwanzig Kilometer zu laufen. Da war das Risiko groß, sich nach dem ausgiebigen Mahl unter die Bäume zu legen und die Tagesetappe auf morgen zu verlegen. Der spendable Landwirt saß mitten unter den Pilgern und genoss sichtlich die Dankbarkeit und gute Laune, für die er sorgte.
Bevor mich meine Mittagsmüdigkeit übermannte, schwang ich meinen Rucksack wieder auf und zog weiter. Es machte so richtig Spaß zu gehen. Das machte es eigentlich immer. Und trotz der Trauer von meinen Jakobswegfreunden, speziell von Monica getrennt zu sein, hatte ich immer ein sehr wohliges Gefühl in mir. Ich dachte oft, dass dies auch durch die Kraft und die Energie des Weges beeinflusst würde. Und die Menschen am und auf dem Weg waren alle sehr, sehr freundlich — ja herzlich.
So schlenderte ich durch die Weinberge, die eigentlich Weinhügel waren und genoss den Sonntag. Ich hatte heute Morgen wie gewohnt nicht in meinen Reiseführer geschaut, um meine Tagesetappe zu planen. Das hatte bisher ja immer jemand anderer für mich mit gemacht. Ich wusste nur, dass ich heute etwa dreißig Kilometer vor mir hatte und der Zielort Najéra hieß.
Einer der typischen Wegweiser mit gelbem Pfeil und den Worten
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