1000 Kilometer auf dem 1000-jährigen Weg
ich wusste, dass dieser Kerl gerade meine Reise um drei Tagesmärsche verlängert hatte.
Ganze sechs Stunden später und um einige hundert Euro erleichtert war ich bestens ausgerüstet wieder zu Hause angekommen. Wanderschuhe, Rucksack, Isomatte, Schlafsack und eine Riesentüte Kleinkram schaffte ich etwas verstohlen ins Haus. Ich sah mir den Haufen Zeug an und dachte „Ich mach’ das ja wirklich.“
Nachdem ich einen Zeitplan erstellt hatte und die Flüge gebucht waren, blieben mir noch drei Wochen für meine Vorbereitung.
Ich packte meinen Rucksack zur Probe und startete mein Lauf- und Wandertraining. Das bestand darin, täglich ein bis drei Stunden zu joggen, oder in voller Montur, also in den Wanderschuhen, die ich bei dieser Gelegenheit einlief, und dem Rucksack auf meinem Laufband zu „wandern“. Ich war froh, dass mich dabei niemand beobachtete, denn es sah schon etwas merkwürdig aus.
Auf diese Weise legte ich immerhin zweihundert Kilometer zurück. Etwa ein Fünftel meiner geplanten Reisestrecke. Denn es waren nicht nur die drei Tagesetappen mehr am Anfang der Reise dazugekommen. Ich hatte mich nach langer Internetrecherche dazu entschlossen, hinter dem eigentlichen Ziel der Pilgerreise, nämlich Santiago de Compostela, noch drei Tagesreisen bis nach Finisterre, einem Fischerort am Atlantik weiter zu gehen. „Das Ende der Welt“ wurde dieser Ort lange genannt, denn im Altertum dachten die Menschen, hier würde die bekannte Welt zu Ende sein.
Beim Studium meines Reiseführers stellte ich fest, dass der Weg vom Start meiner Reise bis zum eigentlichen Ziel Santiago genau achthundertachtundachtzig Kilometer weit sei; eine ehemalige Glückszahl von mir. Dann waren in meinem Reiseführer die Etappen von Somport bis Santiago genau einunddreißig — mein Geburtstag und meine heutige Glückszahl. Ach ja, dann kommt zu den guten Vorzeichen noch, dass mein zweiter Vorname Jakob ist. So begab ich mich also eintausend Kilometer auf den eintausendjährigen Weg.
Jörg diskutierte immer noch mit dem Taxifahrer, dessen Geduld ich bewunderte. Zum einen, weil er jede Frage ausführlich beantwortete und zum anderen die bescheidenen Spanisch-Kenntnisse von Jörg und die damit verbundenen Deutsch-Englisch-Spanisch-Umschreibungen richtig verstand und übersetzte. Mein Magen knurrte und ich wurde mir bewusst, dass ich seit dem Flughafen Madrid, wo ich heute Mittag umsteigen musste, nichts mehr gegessen hatte. Es war fast schon einundzwanzig Uhr, als uns der Taxifahrer in Jaca aussteigen ließ. Er wünschte uns einen „Buen Camino“, einen „guten Weg“. Es war das erste Mal, dass ich diesen Pilgergruß hörte.
Über die Pilgerherberge in Jaca erfuhren wir, dass es vielleicht eine Möglichkeit geben würde, heute noch mit einem Bus nach Somport zu kommen. Nach einem kurzen, etwas hektischen, aber dringend notwendigen Abendessen suchten Jörg und ich den Busbahnhof. Und tatsächlich -Glück oder Vorsehung, ein Bus fuhr noch bis an die Pilgerherberge auf dem Somport Pass, wo wir gegen dreiundzwanzig Uhr ankamen und uns prompt unbeliebt machten, weil wir natürlich die schon schlafenden Pilger in den Betten aufweckten. Der Raum war, und blieb auch dunkel und so suchte ich mir ein freies Bett, in das ich hundemüde und halb bekleidet hineinstieg, um nicht noch mehr „tsss“ und „schschscht...“ zu kassieren. Ich hatte keine Ahnung, wie viele Leute hier in dem Raum überhaupt schliefen. Zufrieden, dass ich mein erstes wichtiges Ziel auf meinem Jakobsweg erreicht hatte und mich morgen früh endlich auf den Weg machen konnte, schlief ich nach einer Weile und zahlreichen, mir völlig unbekannten Geräuschen ein.
Tag 2
Somport-Pass / Jaca
Ein Geraschel und Gewusel weckte mich auf. Ich musste mich einen Moment sammeln. Von der oberen Etage meines Stockbettes konnte ich sehen, wie sich drei, vier oder fünf Gestalten durch den Raum bewegten. Es war kein Licht an und durch das einzige, winzige Fenster drang kaum Licht. Nun konnte ich sehen, dass der Raum nur etwa fünfzehn Quadratmeter groß war. Fünf doppelstöckige Betten standen hier eng aneinander.
Heute war der Tag, an dem ich endlich meinen Jakobsweg beginnen konnte. Als das Zimmer halb leer war, kroch ich aus meinem Bett und kramte in meinem Rucksack die Waschutensilien heraus. Aber die einzig verfügbaren zwei Bäder waren besetzt. Ein Blick auf die Uhr — es war kurz vor sieben. Für den Transport im Flugzeug hatte ich meinen Rucksack
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