1002 - Höllenqualen
es.
Ich ließ mich neben ihm nieder. Beide schauten wir uns an. Der Schulterverband war rot vom Blut. Als ich darauf deutete, da sprach mich der Mann an. »Nein, laß es. Die Wunde wird heilen, das weiß ich.«
»Aber ein Arzt…«
»Es sind die Öle, mein Freund«, sagte er. »Die wunderbaren Öle, die meine Tochter genommen hat.«
»Ja, das war gut.«
Ich sah seinen Blick prüfend auf mich gerichtet. »Ich habe alles gehört, was zwischen euch beiden gesprochen wurde, Fremder. Ich weiß, daß du ein guter Mensch bist, aber es gibt nicht nur gute Menschen. Hüte dich vor den finsteren.«
»Vor Azarius?«
»Ja. Er ist böse…«
»Ich weiß es, aber ich muß den König sehen, weil ich sein Schwert besitze.«
»Bring es ihm zurück, Mann aus dem Norden, und er wird dir ewig dankbar sein.«
»Das denke ich auch.«
Leichte Tritte sorgten dafür, daß ich mich wieder aufrichtete.
Esther war zurückgekehrt. Sie trug jetzt ein graues Gewand mit einer schmalen Kapuze, die sie schon über den Kopf gestreift hatte.
Sie hatte sich unscheinbarer hergerichtet und fiel nicht so auf.
»Können wir jetzt gehen?« fragte sie.
»Ja. – Ich war noch kurz bei deinem Vater.«
»Er wird wieder gesund werden.«
»Das hat er auch gesagt.«
»Möge Jahwe euch euren Segen erteilen«, rief uns der Mann noch nach, dann hatten wir den Raum verlassen.
Ich war aufgeregt wie selten, denn ich wußte, daß ich an diesem Tag noch König Salomo gegenüberstehen würde…
***
Die Stadt, die Menschen, der Tempel!
Irgendwo bildeten sie eine Einheit, denn um das mächtige Bauwerk herum herrschte ein wuseliger Betrieb. Menschen hielten sich dort auf. Es gab auch hier einen Markt. Es wurde gehandelt, gekauft, gegessen, getrunken und geredet.
In meiner Zeit hätte man diesen Ort als ein Kommunikationszentrum bezeichnet, und das stimmte auch. Denn hier wurden Nachrichten ausgetauscht, hier erschienen die Reisenden aus fernen Ländern, um ihre Eindrücke preiszugeben, wobei sie Neuigkeiten loswurden und auch welche erfahren wollten.
Esther und ich waren im Schatten eines schmalen Torbogens stehengeblieben und ließen das Bild auf uns wirken. Ich bekam mit, daß Esther mich von der Seite her anschaute, aber noch nichts sagte und ihre Neugierde im Zaum hielt.
Mein Blick galt dem mächtigen Tempel. Ein großartiges Bauwerk mit dicken Mauern und Säulen. Es gab verschiedene Eingänge und an den Seiten breite überdachte Laubengänge. Im Licht der Sonne hatte er einen goldenen Glanz bekommen, so daß sein Dach aussah, als wäre es tatsächlich mit dieser Farbe bemalt worden.
Die Ausmaße des Tempels kannte ich nicht genau, aber er war sehr groß. Und es gab auch ein großes Eingangstor, das in das Zentrum der Macht führte.
Nichts anderes war der Tempel. Ein Zentrum der Macht, denn Salomo hatte es verstanden, die Stämme Israels zu vereinen, und so herrschte er von hier aus über ein gewaltiges Reich.
Ihm so nahe zu sein, macht mich schon nervös und ließ mich leicht zittern. Hinzu kam, daß ich eine Zeitreise hinter mich gebracht hatte, die mich mehr als zweitausend Jahre zurückgeführt hatte. Das war schon unglaublich, aber daran wollte ich jetzt nicht denken.
Selbst der Tod meiner Elternwar in den Hintergrund getreten, und damit auch meine furchtbaren Qualen.
»Darf ich dich fragen, was du denkst, John?«
»Ich weiß es selbst nicht, Esther. Ich bin schon beeindruckt, hier stehen zu dürfen.«
»Das stimmt. Selbst ich denke noch so.«
»Wie komme ich hinein?«
»Du kannst zum großen Tor gehen.«
»Und dann?«
»Werden dich die Wächter aufhalten.«
»Das hört sich nicht gut an. Was soll ich ihnen sagen?«
»Versuche es mit beten.«
»Bitte?«
Esther nickte. »Ja, sag ihnen, daß du beten möchtest. Sie könnten dann ein Einsehen haben. Oder sage ihnen, daß du von weit her kommst und eine Nachricht für den König hast.«
»Ich könnte ihnen das Schwert zeigen.«
»Nein, lieber nicht.«
»Wie du meinst, Esther. Wenn ich im Tempel bin, wie komme ich zum König selbst?«
»Nicht leicht. Du wirst erst zu einem Hohepriester gebracht werden. Ihn müßt du auch überzeugen.«
»Dann bin ich also auf seine Gnade angewiesen.«
»Das ist leider so.«
Ich hob die Schultern. »Gut, das ist nicht weiter schlimm. Bin ich erst so weit gekommen, wird es für mich noch einen anderen Weg geben.« Ich schaute auf die kleinere Esther nieder. »Aber du wirst mich wohl nicht begleiten.«
»Nein, ich gehöre dort nicht hin.
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