1002 - Höllenqualen
Außerdem habe ich Angst. Die beiden Soldaten, die Azarius schickte, werden ihm bestimmt Bericht erstattet haben. Ich werde mich verstecken müssen, denn sie werden nach mir suchen wollen.«
»Tu das, Esther. Und Dank für alles.« Ich faßte nach ihren Händen und hielt sie fest.
Die junge Israelin schaute zu mir hoch. »Ich darf dir danken, fremder John. Vielleicht werden wir uns einmal wiedersehen, obwohl ich nicht daran glaube.« Sie lächelte verloren, und ich sah Tränen in ihren Augen.
»Man kann nie wissen«, sagte ich. »Aber du hast schon recht, ich komme wirklich von weit her.«
»Du bist auch anders als wir.«
»Ja, das stimmt. Aber eines darfst du mir glauben«, sagte ich zum Abschied. »Unsere Zeit wird nie vergessen werden. Darauf kannst du dich verlassen.«
»Unsere Zeit?« wiederholte sie.
»Ja.«
»Was meinst du damit?«
»Ich kann es dir jetzt schlecht erklären, aber nimm es hin, Esther, und erinnere dich ab und zu an mich.« Ich küßte sie auf ihre zuckenden Wangen.
Plötzlich riß sich Esther los. Bevor ich mich versah, war sie verschwunden. Eingetaucht in den Trubel, und sie ließ mich etwas verwirrt zurück.
Es hatte wohl so sein müssen, und es war auch besser so, wenn ich ehrlich war.
Ich drehte mich um.
Vor mir sah ich das Gewimmel der Menschen. Ich hörte die Stimmen, ich nahm die Gerüche wahr, aber in Wirklichkeit hatte ich nur Augen für den Tempel.
Allein ging ich auf das breite Tor zu…
***
Die bewaffneten Wächter standen neben dem Tor und wurden durch die Decke des außen um den Tempel herumlaufenden Laubengangs geschützt. Ich hatte sie eine Weile beobachtet und festgestellt, daß gewisse Menschen nicht abgewiesen wurden, wenn sie mit den Aufpassern gesprochen hatten. Dann durften die Männer – und nur die Männer – den Tempel betreten und verschwanden in einem Halbdunkel.
Ich probierte es ebenfalls. Neben mir ging ein junger Mann, der sein Haar geölt hatte. Er schaute mich ein paarmal an. Ich kam ihm wohl suspekt vor, aber er redete nicht mit mir. Dafür mit einem der Wächter, der nickte und ihn dann passieren ließ.
Mich hielt man fest.
Ein wenig mußte ich lächeln, weil der Mann ziemlich klein war, wenn auch von stämmiger Gestalt. Er hielt seine Lanze diagonal, und ich war gegen den Schaft gelaufen.
»Was willst du im Tempel?« fragte er mich, wobei er seine Augenbrauen zusammenzog.
»Ich bin fremd hier, habe aber wichtige Nachrichten für den König Salomo.«
»Wo kommst du her?«
»Aus dem Norden! Ich bin über das große Meer gesegelt und habe andere Länder und fremde Völker kennengelernt. Man kennt dort die Weisheiten des Königs und hat mir eine Nachricht für ihn auf den Weg gegeben.«
»Was ist das?«
»Ich werde sie dir nicht sagen dürfen. Nur dem König.«
»Nein!«
»Es ist sehr wichtig.«
Der Soldat schaute mich erst an. In meinem Gesicht rührte sich nichts. Mein Blick war auch starr auf seine Augen gerichtet, und ich spürte deutlich, wie sein Widerstand nachließ. Möglicherweise war ich ihm auch suspekt, denn ich paßte allein schon vom Äußeren her nicht in diesen allgemeinen Rahmen hinein.
»Hast du dich entschieden?«
»Ja, ich werde dich zu einem Hohepriester bringen.«
»Das ist gut.«
Der Mann wunderte sich wohl, daß ich keinen Protest einlegte, schnaufte, drehte sich um und ließ mir den Vortritt. Er selbst blieb dicht hinter mir, und ich konnte mir vorstellen, daß er mich auch mit seiner Waffe bedrohte.
Als harten Hund konnte ich mich wirklich nicht bezeichnen, denn mir zitterten schon die Knie, als ich den Tempel betrat und von der Kühle umfangen wurde.
Ich war in eine große Halle getreten, in der Blumen standen, ein Springbrunnen Wasser spie, wo Altäre aufgestellt waren, vor denen Männer knieten und von Schalen umgeben waren, in denen Öle allmählich verbrannten.
Der Boden bestand aus mächtigen Steinen, die glatt wie Spiegel poliert waren. Säulen trugen die mächtige, hohe Decke, die wie ein Himmel wirkte.
Ich hörte die Stimmen, und auch den Gesang der Betenden und war schon beeindruckt. Gern hätte ich eine Pause eingelegt und mich näher umgeschaut, aber mein Bewacher trieb mich voran, tiefer in das Innere hinein, was auch nicht schlecht war. Meine Gedanken kreisten nicht so sehr um die Bundeslade wie um den König Salomo. Ich hoffte, ihm bald gegenüberstehen zu können. Vielleicht konnte es mir dann gelingen, den Weg zum Allerheiligsten zu finden.
Es dauerte seine Zeit, bis wir die Halle
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