1003 - Die Templer-Säule
ihm.
»Du wirst es bald sehen.«
»Wie reist du zurück?«
»Ich werde auf das Rad steigen. Und ich möchte dich bitten, es dann nach rechts zu drehen.«
»Aha.« Er nickte mir zu. Sicherlich hatte er nichts begriffen. Es war auch schwer, darüber etwas zu sagen. Das Rad der Zeit war nicht zu erklären, man mußte es einfach hinnehmen und sich mit der Wirkung abfinden. Sollte ich auch weiterhin am Leben bleiben, so war ich davon überzeugt, daß ich sein Geheimnis irgendwann einmal lüften würde, aber jetzt nahm ich es als Transportmittel hin, ohne großartig über seine Funktionsweise nachzudenken.
Nahe der blanken Felsen war es zwar nur wenig kühler, denn die Steine strahlten die Hitze zurück, aber der Schatten stoppte die Sonnenglut. Ich war auch deshalb stehengeblieben, weil wir von dieser Stelle aus einen wunderbaren Blick über die Stadt hatten. Sie lag vor und unter uns. Der Tempel König Salomos überragte alle anderen Häuser. Er war wie eine Trutzburg. Salomo hatte in wohl für die »Ewigkeit« gebaut, aber er würde zerstört werden, das wußte ich.
Seine Stelle würde Jahrhunderte später der Felsendom einnehmen, erbaut von den Muslimen. Aber das war noch Zukunft. Der König würde sie nicht erleben, ebensowenig die Zerstörung seines Reiches.
Salomo hatte meinen Blick bemerkt. »Es sieht aus, als wolltest du Abschied nehmen, John.«
»Du hast dich nicht geirrt.« Ich deutete auf die Stadt. »Es ist für mich etwas Besonderes, das hier sehen zu dürfen. Um es zu beschreiben, fehlen mir die Worte, und es werden mir nur wenige Menschen glauben. Ich aber bin froh, diese Erfahrung gemacht zu haben, und ich werde das alles nie vergessen. Auch dich nicht, Salomo.«
Er nickte. Seine Stimme klang schon etwas schwermütig, als er sagte: »Es ist sehr schade, daß wir nicht länger beisammen sein konnten. Das Schicksal hat es nicht gewollt. Du lebst in deiner Welt, ich in meiner.«
»Aber man wird dich nicht vergessen«, erklärte ich lächelnd. »Es wird auch noch in meiner Zeit oft über den weisen König Salomo geredet werden.«
»Wirst du deinen Freunden von mir erzählen?«
»Bestimmt. Und ich werde dich loben. Das bin ich dir schuldig.«
Er nickte. »Dann wünsche ich dir Jahwes Beistand, daß du die Lade findest. Es tut mir leid, daß ich sie dir nicht habe zeigen können. Ich hätte es gern getan, aber…«
Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. »Das ist nicht tragisch, Salomo. Irgendwann werde ich sie finden. Das spüre ich einfach, das steckt in mir. Ich glaube nicht, daß ich diese Reise umsonst gemacht haben, aber jetzt wird es Zeit für mich.«
»Ja, das glaube ich auch.«
Wir blieben nahe der heißen und hellen Felswand. Das Gestein schien in der Hitze nach Wasser zu schreien, und mir rann der Schweiß über das Gesicht.
Ich dachte an die schöne Esther. Gern hätte ich noch von ihr Abschied genommen, aber der Trubel in der Stadt war einfach zu groß gewesen.
Das Rad der Zeit stand in einer Felsnische. Mein Puls normalisierte sich, als ich es sah. Ich hatte schon befürchtet, daß es verschwunden war, aber es stand noch da.
Gemeinsam blieben wir davor stehen. Salomo war so überrascht, daß er kein Wort herausbrachte. Es schaute sich die beiden Dreiecke an und dachte nach.
Sie glichen dem Stern Israels, der auch die Flagge dieses Landes zierte. Es war zu spüren, daß ihm die Worte auf der Zunge brannten. Ich forderte Salomo auf, etwas zu sagen.
»Dein Kreuz und die Zeichen auf dem Rad…«
»Sie stimmen überein«, sagte ich.
»Warum?«
»Nicht, daß ich dir die Frage nicht beantworten möchte, aber ich habe es nicht herausgefunden.«
»Es ist bestimmt wichtig für dich.«
»Da sagst du etwas.«
Er hob die Schultern. »Schade, daß ich dir nicht helfen kann. Ich hätte es gern getan. Es ist wichtig, und auch mir sind die Zeichen nicht unbekannt…«
Das hatte ich mir beinahe gedacht. Leider war nicht die Zeit, hier noch länger zu warten. Ich erlebte den inneren Drang, die Reise fortzusetzen.
»Wir können nicht mehr forschen oder?«
Ich schüttelte den Kopf. »Leider nicht, Salomo. Ich werde das Rad jetzt besteigen.«
»Tu, was du tun mußt.« Er kam auf mich zu. Wir umarmten uns.
Wieder überlief mich der kalte Schauer, als ich daran dachte, wen ich da umschlungen hielt.
Als ich mich löste, zuckte das Gesicht des Königs.
Ich drehte mich hastig um und kletterte auf das Rad. Salomo brauchte mir nicht zu helfen. Er schaute mir zu, hatte den rechten Arm zum
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