1003 - Die Templer-Säule
er etwas getan…?«
»Du weißt es, John.«
Ich hob die Schultern. »Es sind alte Erzählungen, die Wahrheit kenne ich nicht. Aber du scheinst Azarius nicht zu mögen. Wer ist er gewesen?«
Meine letzten Worte hatten den König in einen Taumel von Gefühlen gerissen. Eine direkte Antwort bekam ich nicht. Doch aus der indirekten- hörte ich die Wahrheit ebenfalls hervor. »Azarius ist der Halbbruder von Menelik…«
Plötzlich packte mich eine Starre. Das Blut schoß mir in den Kopf, denn mit dieser Neuigkeit hatte ich nicht gerechnet. Menelik und Azarius waren also Halbbrüder. Das konnte nur bedeuten, daß sie ein gemeinsames Elternteil hatten. Von Salomo wußte man, daß er den Frauen nicht eben abgeneigt war.
Ich brauchte die Frage nicht zu stellen, er las sie an meinen Augen ab. »Ja, es stimmt. Ich bin der Vater des Azarius.«
»Gut«, sagte ich nach diesem Geständnis und nickte. »Kannst du mir auch sagen, wer die Mutter ist?«
»Ich kenne sie nicht gut. Es war natürlich nicht die Königin von Saba. Es war ihre Dienstmagd, ebenfalls eine wunderschöne Frau. Sie hat Azarius geboren.«
»Den du nie als deinen Sohn anerkannt hast.«
»Du hast recht. Ich konnte ihn nicht anerkennen. Azarius war anders als Menelik.«
»Und er ist auch mit nach Äthiopien gegangen, in das Reich der Königin von Saba.«
»Ja, denn ich habe veranlaßt, daß er mitging. Zusammen mit Menelik und all den anderen Söhnen der Hohenpriester. Die Erstgeborenen sollten weg und sich in einem anderen Reich niederlassen. Dort konnten sie die neuen Siedlungen gründen.«
Das stimmte, und noch heute leben in Äthiopien Juden.
Automatisch dachte ich an den Mönch aus der Kathedrale in Chartres. Bisher hatten sich all seine Angaben als wahr bestätigt, aber die wichtigste Auskunft fehlte mir noch, und ich war gespannt, wie der König darauf reagieren würde.
Er war in sich zusammengesunken. Er sah jetzt aus wie ein alter Mann, der dabei war, über seine Fehler nachzudenken. Er konnte mich auch nicht mehr anschauen, und ich wußte plötzlich, daß ich das letzte Rätsel hier nicht gelöst bekommen würde, wenn der Mönch Angares auch weiterhin recht behielt.
Mit einer Frage näherte ich mich dem Thema. »Deine beiden Söhne befinden sich nicht mehr in deinem Reich, Salomo?«
Er hielt den Kopf gesenkt, als er die Antwort gab. »Das weißt du auch?«
»Ja, und ich denke, daß das, wonach ich so sehr gesucht habe, sich auch nicht mehr hier im Tempel befindet. Ich bin sicherlich viel zu spät gekommen.«
»Sprichst du von dem Geschenk Jahwes?«
»Ja, das meine ich. Die Lade mit dem Inhalt, den Moses damals von Jahwe bekommen hat. Die Tafel der Gesetze und…«
Er unterbrach mich. Dabei blickte er mich an, schaute aber trotzdem ins Leere. »Es gibt sie nicht mehr, John. Sie – sie wurde mir gestohlen.«
»Azarius?« fragte ich.
»Er und die anderen, und auch mein Sohn Menelik hat sie nicht mehr zurückgebracht.« Salomo hatte die Worte sehr traurig ausgesprochen, was ich gut nachfühlen konnte.
Vergebens war mein Besuch hier im Tempel von Jerusalem nicht gewesen. Ich hatte vieles gelernt, viel bestätigt bekommen, aber die Lade würde ich wohl nicht hier finden, die befand sich woanders.
Versteckt in einem Land, das weit im Süden lag. Wenn ich sie sehen wollte, mußte ich dorthin reisen.
In dieser Zeit, in der ich mich befand, würde eine derartige Reise Monate dauern, deshalb hatte es keinen Sinn, es zu versuchen. Aber ich wollte dennoch Einzelheiten erfahren und fragte weiter. »Hast du denn Kenntnis davon, wo man die Lade genau hinbrachte?«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Sagt dir der Name Aksum etwas?«
»Was ist das?«
»Eine Stadt im Reich der Königin von Saba.«
»Nein, ich habe diesen Namen nie gehört. Ich weiß nicht, ob es eine solche Stadt überhaupt gibt.«
Da stand ich auf dem Trockenen. Ich war mir nämlich auch nicht sicher. Ich hatte mal gehört, daß Aksum erst im zweiten Jahrhundert vor Christi gegründet sein sollte, und soweit mir bekannt war, befanden wir uns Anfang des neunten Jahrhunderts vor Christi Geburt. Man kannte auch nicht das genaue Todesjahr des Königs. Es mußte zwischen 940 und 930 vor Christi gelegen haben, aber das brachte mich nicht weiter, und ich wollte auch nicht mit dem König über den Tod reden. Nur mußte ich ihn dahin bringen, daß er mir mehr über die Lade erzählte, denn er wußte ja Bescheid, sie hatte sich in seinem Besitz befunden und war das Herzstück des Tempels
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