1005 - Im Bann des alten Königs
Hauptakteure. Sie wurden akzeptiert, sie gehörten zu den besonderen Menschen. Ihre spitzen Schreie übertönten die Musik. Die Oberkörper zuckten hektisch hin und her. Mal nach vorn, dann wieder zurück. Auch nach rechts und links glitten sie, es war wie ein Rausch, der auch an mir nicht vorüberging.
Ich bewegte mich ebenfalls im Rhythmus der Musik. Meine Arme und Beine zuckten nicht ganz so wild, aber vielleicht steigerte ich mich ja noch.
Staub vernebelte die Sicht. Beim Aufstampfen der Füße schien er aus der Tiefe des Bodens aufzusteigen. Er nahm uns einen Teil der Sicht, und aus ihm hervor drangen die Töne und Klänge, als wollten sie nie mehr im Leben aufhören.
Davids Tanz um die Lade.
Er hatte damals auf sie gesetzt und durch den Tanz versucht, sie auf seine und auf die Seite des Volkes zu stellen, um Siege gegen die Feinde zu erringen.
Heute war es anders, aber der Tanz war der gleiche geblieben, und Feinde gab es ebenfalls. Das hier sah sehr fundamentalistisch aus.
Ich konnte mir vorstellen, daß diese Dinge der offiziellen Regierung nicht unbedingt gefielen.
Sehr bald verlor ich den Bezug zur politischen Realität wieder, denn die Musik und die hektischen Bewegungen der Tänzer nahmen mich voll und ganz in Anspruch.
Auch ich wurde allmählich in diesen Rausch hineingezogen. Ich schwamm weg. Es mochte an dem Weihrauch liegen, der wie eine Droge auf mich wirkte. Ich sah mich plötzlich über der Lade liegen, aber ich konnte nicht hineinblicken, denn die schwere Decke mit den goldenen Streifen auf der Oberfläche verwehrte mir jeden Blick.
Wie lange ich diesem seltsamen Zauber verfallen war, wußte ich nicht. Die Zeit hatte ich verloren. Plötzlich aber war es still, sehr still, und ich hatte den Eindruck, als wäre ich selbst wieder in den eigenen Körper hineingesackt.
Dann öffnete ich die Augen. Oder hatte ich sie schon längst offen?
Genau wußte ich es nicht, aber ich sah die Priester um die Lade herum verteilt auf dem Boden liegen.
Starr, ohne jede Bewegung.
Wie Tote…
***
Für einen Moment durchschoß mich der Schreck wie eine heiße Lanze, die tief in meinen Körper hineinbiß, auch meine Kehle erreichte.
Es kam mir vor, als wäre sie in Feuer gehüllt. Ich kriegte kaum noch Luft! Es dauerte eine Weile, bis ich mich wieder zurechtgefunden hatte.
Hin und wieder hörte ich das anschlagen eines Klöppels gegen die Innenwand einer Schelle. Der helle Laut erreichte mich wie der Ruf eines fernen Engels.
Allmählich klärte sich mein Blickfeld. Ich sah die Tänzer an der Lade liegen. Wie hingegossen wirkten sie. Hier und da zuckte ein Bein oder eine Hand. Mir wurde bewußt, daß diese Männer bis zur völligen Erschöpfung getanzt hatten und sich einfach nicht auf den Beinen hatten halten können.
Ich atmete tief aus. Schloß die Augen. Öffnete sie wieder. Räusperte mir die Kehle frei.
Erst dann schaute ich nach rechts, wo mein Freund Mikail hätte stehen müssen.
Ich sah ihn nicht mehr!
Andere Menschen schauten mich an. Schweißfeuchte, dunkle Gesichter, weit geöffnete Augen und Münder. Menschen, die noch unter dem Eindruck des eben erlebten standen oder litten.
Es war vorbei.
Ich drehte mich wieder weg. Das Zittern in meinen Beinen ließ allmählich nach. Ich spürte auch meinen Herzschlag wieder, der während des Tanzes ausgesetzt zu haben schien. Es pochte hart in meiner Brust, und erst nach einer Weile war ich so klar, daß ich mich auf die am Boden liegenden Tänzer konzentrieren konnte.
Sie lagen im Staub. Verloren, regelrecht ausgepumpt, bis an die Grenze ihrer Kraft waren sie gegangen. Ich schüttelte einige Male den Kopf.
Stimmenklang füllte meine Ohren. Dann spielte jemand auf seiner Flöte eine Melodie, die sich klagend anhörte. Sie schmerzte in meinen Ohren. Sie war für mich so fremd und auch störend.
Jemand umfaßt meine Schulter und zog mich herum. Ich sah einen Halbwüchsigen, der mich anlächelte und mit der freien Hand in den Hintergrund deutete.
Das Zeichen verstand ich, schaute über den Kopf des Jungen hinweg und entdeckte eine graue Steinsäule, die aussah wie ein hohes Grabmal. Dort lehnte eine einsame Gestalt am Stein.
Es war Mikail, der auf mich wartete.
Ich nickte dem Jungen zu. Mein leise gesprochenes »Okay« verstand er bestimmt, weil es international war. Dann machte ich mich auf den Weg zu Mikail. Noch einen letzten Blick warf ich zurück. So bekam ich mit, daß Helfer an die Tänzer herangetreten waren und ihnen wieder auf die Beine
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