1005 - Im Bann des alten Königs
würdevoll.
Dann sah ich die Lade.
Oder den Gegenstand, der durch die Straßen getragen wurde. Er war mächtig, viel größer als die Lade in der Kirche.
Acht kräftige Männer trugen sie. Kein Gespann aus Ochsen zog das Allerheiligste durch die Straßen, wie ich es auf der Säule in der Felsenkirche gesehen hatte.
Die Träger gingen noch einige Schritte weiter, dann blieben sie stehen, genau vor uns.
Ich registrierte es im ersten Moment nicht. Erst als die Lade abgesetzt wurde, erwachte ich aus meinem Traum. Wieder stand sie so nahe vor mir. Drei, vier Schritte hätten gereicht, um sie zu berühren, aber ich blieb stehen wie hypnotisiert und betrachtete die Decke, die tief herabhing und mir den Blick auf das Heiligtum nahm.
Die Prozession stockte.
Zuschauer drängelten vor, um in die Nähe der Lade zu gelangen.
Mir kam der Verdacht, daß Mikail sich diese Stelle nicht grundlos ausgesucht hatte.
Ich trat nicht zur Seite, auch wenn ich mehrmals geschubst wurde.
Flüsternde Stimmen umgaben mich, aber niemand wagte es, auch nur einen Satz laut zu sprechen. Über die Umgebung hatte sich eine andächtige Stille gelegt.
Die Schellenträger näherten sich. Ein leises Klingeln begleitete die Männer. Sie bleiben erst dann stehen, als sie einen bestimmten Ort erreicht hatten.
Das war genau in Höhe der Lade.
Plötzlich schoben sich aus dem Hintergrund die vier Priester hervor. Junge Männer mit dunklen Gesichtern und glänzenden Augen.
Auch die Musiker bewegten sich. Sie bildeten vor der Lade einen Halbkreis.
»Was soll das bedeuten?« fragte ich meinen neuen Freund.
Mikail hob den Arm. »Du wirst es gleich zu sehen bekommen. Es ist ein historischer und auch biblischer Tanz, den du gleich erleben wirst.«
»Biblisch?« wunderte ich mich.
»Ja. Der Tanz König Davids um die Bundeslade. Er hat ihn vor langer Zeit aufgeführt. Er hat sie verehrt. Er hat aus ihr die Kraft geschöpft, um seine Kriege zu führen.«
»War die Lade für ihn ein Gott?«
»Wer kann das sagen? Sie war damals alles. Gott und Götze zugleich. Davids Tanz hat sich bis in unsere Zeiten erhalten. Die auserwählten Priester brennen darauf, den Tanz aufzuführen. Dafür leben sie beinahe.«
»Ich bin gespannt.«
Mikail legte einen Finger gegen die Lippen, und ich verstand das Zeichen sehr wohl.
Niemand störte die Akteure. Auch die flüsternden Stimmen in unsere Nähe waren verstummt. Jeder wartete den Beginn des Tanzes gespannt ab.
Das geschah auch so.
Plötzlich mischte sich der Klang der Flöten in das harte Geräusch der Trommeln. Die Trommler standen im Hintergrund, sie verstummten auch bald, denn sie gaben den Rhythmus des Tanzes vor, in den die Priester verfielen.
Sekunden später schon bekam ich große Augen, denn was man mir hier vorführte, das war schon bald archaisch zu nennen. Es mußte ein biblischer Männertanz sein, und er wurde mit einer wahren Hingabe durchgeführt, die mich schon erschreckte.
Die Priester bewegten nicht nur ihre Körper zuckend hin und her, sie blieben auch nicht an derselben Stelle stehen, sondern bildeten einen Reigen.
Ich dachte automatisch an eine Bibelstelle, in der vom Tanz um das Goldene Kalb berichtet wurde. Hier sah es so ähnlich aus, nur war das Kalb ein unter einer Decke versteckter Gegenstand, der hoch verehrt wurde.
Alles nur Schau, alles nur Ablenkung. Auch das Schwenken der Weihwasserkessel, für das die Diakone zuständig waren. Die Schwaden vermischten sich mit den Staubwolken, die einfach nicht tiefer sanken. Sie umschwebten die Tänzer und auch die Zuschauer wie ewig währende Begleiter.
Es blieb nicht nur bei den Bewegungen der Priester. Ich hörte manchmal ihre spitzen Schreie, als wollten sie die versteckte Lade beschwören.
Mikail und ich schauten zu. Dabei fiel mir auf, daß mein neuer Freund längst nicht mehr so ruhig dastand.
Er war zwar nicht in den intensiven Tanzrhythmus der Priester verfallen, aber er bewegte sich schon. Zudem hielt er den Mund offen. Die gesungenen oder gestammelten Worte drangen stoßweise über seine Lippen. Auch die Zuschauer in unserer Nähe standen nicht mehr ruhig. Die Atmosphäre riß sie mit.
Ich horchte in mich hinein, wie ich mich fühlte. Normal nicht mehr, denn die Musik war auch auf mich nicht ohne Wirkung geblieben. Ich fühlte mich von ihr wie weggetragen, so daß es mir vorkam, als hätte ich den Kontakt mit dem Boden verloren.
Immer wilder, wütender, beinahe schon ekstatischer wurde der Tanz dieser Priester. Sie waren die
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