1005 - Im Bann des alten Königs
würde.«
»Schicksal oder Fluch?«
»Vielleicht beides.«
Mikail hob den Arm ein wenig an. »Sie haben auf uns gewartet. Sie haben gewußt, was hier ablaufen würde. Es ist alles in die Reihe gekommen. Jetzt mußt du handeln.«
»Ich werde gehen.«
»Das dachte ich mir. Du bist kein Mensch, der so dicht vor dem Ziel einen Rückzieher macht.«
»Das sicherlich nicht.«
Ich schaute mir die Gestalten auf den Dächern noch einmal an. Sie hatten sich gut verteilt und konnten in meine Richtung schauen.
Sechs zählte ich aus meinem Blickwinkel, wobei ich davon ausgehen mußte, daß sich noch welche hinter uns auf den Dächern der Hütten aufhielten. Sie hatten einen Kreis geschaffen, eine Falle. Wenn wir versucht hätten, das Gelände zu verlassen, dann wäre es von ihnen verhindert worden.
Sie bewegten sich nicht. Wenn etwas wallte oder flatterte, dann waren es ihre Umhänge, gegen die der Wind strich. Sie wirkten dunkel. Die allmählich untergehende Sonne stand in ihrem Rücken und leuchtete sie an. Auf den Köpfen trugen sie keine Helme. Die Umhänge bedeckten auch keine Rüstungen. Es waren moderne Templer, diese Nachkommen der alten Kreuzfahrer.
»Ich weiß nicht, ob man mich so einfach in die Kapelle hineinlassen wird…«
»Doch«, sagte Mikail. »Sie werden dir keine Steine in den Weg legen. Du bist für sie der Schlüssel. Nur werden sie dafür sorgen, daß du das Gebäude nicht verlassen kannst.«
»Leider.«
Die Antwort paßte Mikail nicht. »Wärst du denn jetzt geflohen?«
»Nicht ganz. Ich wäre nur zu einem anderen Zeitpunkt zurückgekehrt. Das läßt sich nicht mehr machen. Drück mir die Daumen. Ich weiß nicht, was mich erwartet.«
»Etwas Großes, John. Etwas Gewaltiges. Das kann ich dir versprechen.«
Es kam mir so vor, als hätten die Templer unsere Worte genau verstanden. Kaum hatte ich den letzten Satz ausgesprochen, da setzten auch sie sich in Bewegung.
Sie fingen damit an, von den Dächern zu klettern. Ich hörte auch über mir die entsprechenden Geräusche und schaute kurz in die Höhe. Am Dachrand malte sich der Schatten ab. Er bewegte sich, und sein Umhang schwang hoch wie der Flügel eines großen Vogels.
Dann sprang der Mann in die Tiefe. Seine Aktion war für mich wichtiger als die der anderen. Deshalb drehte ich mich um, damit ich ihn anschauen konnte.
Er war normal aufgekommen. Seine Freunde sammelten sich in den Gassen. Sie würden sicherlich auch erscheinen, aber der Mann vor mir war wichtiger.
Ich schaute ihn an. Wir musterten uns. Im Gegensatz zu mir hatte er sehr dunkle Haare. Sein Gesicht war schmal. Die Nase leicht gebogen. Die Augen lagen wie schattige Kreise in den Höhlen. Über ihnen wirkten die beiden Brauen wie mit dem Lineal gezogen. Diesen Mann umgab das Flair eines Anführers.
Er schaute nicht nur mich an, sondern auch das Schwert. Da er den Kopf gesenkt hielt, erkannte ich die Reaktion in seinem Gesicht nicht. Er war noch abgelenkt, und ich flüsterte Mikail zu: »Kennst du diese Person?«
»Nein, ich habe den Mann nie gesehen.«
»Gut, dann werde ich versuchen, seinen Namen zu erfahren.«
»Ich heiße Hagir.«
»Was?« Jetzt zuckten Mikail und ich zusammen. Denn diesen Namen kannten wir. Hagir hatte auch der Mann geheißen, der noch vor kurzem gestorben war. Im Gegensatz zu ihm sprach dieser Hagir englisch, und er hatte auch unsere Verwunderung mitbekommen.
»Es gibt viele Menschen mit diesem Namen. Aber er war ein Onkel von mir.«
»Und wurde trotzdem getötet?« flüsterte ich.
»Ja. Er wollte es nicht anders.«
Ich schüttelte den Kopf. »Welcher Mensch geht schon freiwillig in den Tod?«
»Wir haben ihn gewarnt. So wie wir alle Mönche hier gewarnt haben. Aber sie hörten nicht. Sie wollten nicht hören. Dafür mußten sie büßen. Wir gaben ihnen die Chance zur Flucht. Nicht alle haben sie genutzt. Unter ihnen befand sich auch Hagir.«
»Und wer tötete ihn?« fragte ich.
»Einer von uns.«
Ich schaute mir den Mann an. Er war ruhig, aber er war zugleich auch ein Fanatiker, denn in ihm mußte das Feuer einer bestimmten Revolution lodern. Die Blicke galten allein mir, Mikail war für ihn nicht interessant. Er nickte mir dann zu, bevor er mich ansprach. »Es ist ein weiter Weg gewesen von Chartres bis hierher. Aber jetzt bin ich froh, daß alles so gekommen ist. Daß du den Schlüssel besitzt. Das Schwert des Salomo ist ein kostbarer Schatz. Setze ihn richtig ein. Verschleudere ihn nicht.«
Ich überlegte bereits, ob ich mich weigern
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