1005 - Im Bann des alten Königs
lebte.
Ich holte tief Luft. Dann drehte ich mich um. »Mikail!« zischelte ich.
Mein neuer Freund rührte sich nicht. Erst als ich ihn noch einmal ansprach, kam Bewegung in ihn. Er drehte sich um und kam langsam auf mich zu.
»Er lebt, Mikail!«
»Was hast du gesagt?«
Ich stand auf. »Er lebt noch. Komm endlich! Vielleicht kannst du mit ihm sprechen. Auf mich hat er jedenfalls den Eindruck gemacht, als wollte er reden.«
Mikail konnte es nicht glauben. Aber er kam, und jetzt schuf ich ihm Platz. Der Hüter ging in die Knie. Ich hörte ihn sprechen. Er legte auch seine Hände gegen die Wangen des Schwerverletzten. Die Worte verstand ich nicht, aber ich bekam mit, wie Mikail mit schwacher Stimme Antworten erhielt.
Ich zog mich zurück, um nicht zu stören. Dabei nutzte ich die Gelegenheit, um einen Blick nach draußen zu werfen, denn die Bewegung am Fenster hatte ich nicht vergessen.
Nein, da war nichts zu sehen. Auch an der rechten Seite der Hütte nicht. Es war auch nichts zu hören. Nur hinter meinem Rücken flüsterten die beiden Männer.
Ich zog mich wieder in die Hütte zurück. Nichts lief glatt, gar nichts. So dicht vor dem Ziel baute sich plötzlich die verdammte Mauer auf. Sie mußte ich noch überwinden.
Ein Kloster, in dem es keine Mönche mehr gab. Der schwerverletzte Mann in seiner Hütte. Die Stille. Die Oase, an der das Timkat-Fest vorbeilief.
Da stimmte einiges nicht. Ich fragte mich, wie es in den anderen Hütten aussah und überlegte, wer den alten Mann ermordet hatte.
Ich kannte die Antwort nicht. Aber ich ging davon aus, daß der oder die Killer sich noch in der Nähe hier aufhielten. Sie hatten etwas Schreckliches in Gang gesetzt und den Weg zur Lade noch verlängert.
Mich trieb es zu ihr. Ich ging davon aus, daß sie in der Kapelle aufbewahrt wurde und nicht in der großen Kirche, die man extra für sie gebaut hatte. Nur war ich nicht der einzige, der sich für die Lade interessierte. Grundlos war der Mönch bestimmt nicht gestorben. Es konnte durchaus sein, daß man ihn auch gefoltert hatte, um an bestimmte Informationen zu gelangen.
»John!«
Mikails zittrige Stimme sorgte dafür, daß ich mich umdrehte.
Er schaute mich an.
Ich wartete auf ihn. Er nickte. Dann kam er langsam näher. Seine Füße schlurften dabei über den Boden. Den Blick hielt er gesenkt.
Mir war klar, daß er mir etwas Schreckliches mitteilen würde.
Ich kam ihm damit zuvor. »Er ist tot, nicht wahr?«
»Ja«, drang es stöhnend über Mikails Lippen. »Hagir ist tot.«
Ich ließ die Nachricht, mit der ich schon gerechnet hatte, auf mich wirken und sagte dann mit leiser Stimme: »Aber er hat dir noch etwas sagen können, nicht wahr?«
Mikail schwieg. Vielleicht wollte er auch noch nachdenken.
Schließlich sagte er: »Hagir hat noch gesprochen.«
»Redete er über seine Mörder?«
»Er versuchte es.«
»Hat er gesehen, wer…?«
Mikail schüttelte den Kopf und schaute dabei zur Decke. »Er hat nicht viel gesehen, denn sie waren wie Schatten. Wie böse, mordende Schatten. Sie fielen hier ein.«
»Es waren also mehrere?«
»Ja, ich glaube schon. Aber Hagir ist geblieben. Die anderen konnten noch fliehen. Ich weiß nicht, ob es alle geschafft haben. Nur Hagir wollte nicht.«
»Haben die Männer mit ihm gesprochen? Haben sie etwas von ihm erfahren wollen?«
»Auch das«, flüsterte Mikail.
»Was wollten sie?«
»Die Lade. Sie wollten sie stehlen.«
Ich erschrak und dachte etwas weiter. Wenn diese Mörder in das Gebiet des Klosters eingedrungen waren, dann war es ihnen auch nicht schwergefallen, an die Lade heranzukommen. Es hatte schließlich keinen gegeben, der sie daran hätte hindern können. »Müssen wir davon ausgehen, daß die Lade gestohlen wurde?«
»Nein. Das glaube ich nicht, John. Man kann nicht einfach zu ihr gehen. Man muß innerlich rein sein. Sie ist ein Schatz, verstehst du? Sie ist etwas Besonderes, sie hat in früheren Zeiten getötet. Man darf nicht einfach hingehen und sie anfassen. Es sei denn, man ist ein Auserwählter.«
»Würde das auf mich zutreffen?« fragte ich.
»Du mußt es versuchen. Du trägst das Schwert des König Salomo. Es könnte der Schlüssel sein.«
»Dann wäre meine Reise nicht umsonst gewesen.« Über meine Lippen huschte ein Lächeln. »Wenn ich dir jetzt sage, daß ich zu ihr gehen möchte, bist du damit einverstanden?«
»Das bin ich.«
»Gut. Ich auch.« Plötzlich war ich nervös. Mir fehlten einfach die Worte. Die Kehle war zu. Gleichzeitig
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