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1007 - Totenwache

1007 - Totenwache

Titel: 1007 - Totenwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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auseinandergefallen und wunderte mich nicht einmal darüber, daß meine toten Eltern schon in der normalen Halle aufgebahrt worden waren und nicht in einem Nebenraum oder ganz woanders.
    Ich schaute und sah trotzdem nichts. In meinem Innern breiteten sich Gefühle aus, mit denen ich nicht zurechtkam. Ich dachte an die Gegenwart, auch an die Zukunft und zugleich an die Vergangenheit, als mich meine Eltern noch als Kind beschützt hatten.
    Das war nun vorbei.
    Endgültig.
    Jetzt lagen sie vor mir in zwei offenen Särgen und einige Schritte von mir entfernt. Ich konnte sie nicht genau sehen, weil das Licht der Kerzen doch ein wenig blendete, aber ich würde sie bald besser sehen können, wenn ich auf die Särge zuging. Mir war kalt und heiß zugleich. Die Kälte hatte sich in meinem Körper festgesetzt, die Hitze im Kopf und hatte meine Gesichtshaut rot werden lassen.
    Es kostete mich eine wahnsinnige Überwindung, den ersten Schritt zu gehen, und als mein Fuß dann wieder den Boden berührte, da war das Zittern so stark, daß ich fast zu Boden gefallen wäre und mich an einer Bank festhalten mußte.
    Ich riß den Mund auf und atmete tief durch. Die Luft war hier anders als draußen. Feuchter. Auch durchströmte sie ein bestimmter Geruch, der nach kaltem Wachs und verfaulten Blumen, die hier einmal gelegen hatten. Die Kälte ließ mich zittern, aber auch die Gewißheit, mit jedem Schritt näher an meine toten Eltern zu gelangen.
    In meinem Kopf tobten Stürme und Gewitter zugleich. Ich wußte nicht mehr, was ich noch denken sollte und ging wie durch einen dumpfen, mit Watte gefüllten Tunnel.
    Dabei schwankte ich leicht und berührte immer wieder die Bänke.
    Und dann stand ich vor den offenen Särgen meiner Eltern.
    Rechts vor mir lag meine Mutter.
    Links der Vater.
    Ich schaute sie an und zitterte. Ich wußte nicht, was ich denken sollte, und ihre bleichen und starren Gestalten verschwammen vor meinen Augen, weil ein Strom aus Tränen ein normales Sehen unmöglich machte.
    Wie lange ich so auf dem Fleck gestanden hatte, konnte ich nicht sagen. Ich hörte mein eigenes Schluchzen nicht. Ich war völlig in dieser fremden Welt gefangen und bewegte mich manchmal zuckend, als wäre ich von Stromstößen durchpeitscht worden.
    Dabei hatte ich mir vorgenommen, die Beherrschung nicht zu verlieren, aber es war einfach unmöglich. Ich konnte nicht mehr. Um mich herum brach alles zusammen. Dabei mußte ich mich über mich selbst wundern, daß ich noch auf den Beinen stand.
    Ich war gegen diese Gefühle einfach nicht angekommen, aber es ging auch vorbei. Mit einer mechanischen Bewegung holte ich ein Taschentuch hervor und wischte mein Gesicht ab. Ich putzte mir auch die Nase, trocknete das Wasser in meinen Augen und ging dann auf den rechten der beiden Särge zu, in dem meine Mutter lag.
    Zwischen den beiden Särgen war nicht viel Platz, so daß ich an der Seite stand und mich vorbeugte, um von meiner Mutter Abschied nehmen zu können.
    Ja, sie hatte ein so bleiches Gesicht, obwohl ihr das Licht der Kerzen den Anschein von etwas Lebendigem gab.
    Aber das stimmte nicht.
    Sehr langsam beugte ich mich vor. Das Gesicht meiner Mutter zeigte einen nahezu friedlichen Ausdruck. Ihre Augen waren geschlossen, die Hände wie zum Gebet verschränkt. Sie machte tatsächlich den Eindruck einer schlafenden Frau.
    Von ihren Verletzungen oder Wunden war nichts zu sehen, denn jemand hatte noch eine Decke über ihren Körper ausgebreitet und ihn auch eingewickelt. Eine helle Decke, ein Leichentuch. Als ich daran dachte, mußte ich schlucken, schüttelte den Kopf und wollte zur Seite schauen, aber mein Blick blieb wie gebannt am Gesicht meiner Mutter hängen. An den blassen, blutleeren Lippen, an den eingefallenen Wangen und an der noch immer fast faltenfreien Haut.
    Meine Hand zitterte stark, als ich den Arm anhob und die Finger in die Nähe des Gesichts brachte. Ich wollte die Haut berühren und auf meine Art Abschied von der Mutter nehmen. Ein letztes Mal streicheln, sie so sanft berühren, wie sie mich immer als kleinen Jungen berührt hatte, um mich zu trösten.
    Trösten konnte ich sie nicht.
    Kein Mensch konnte das. Trost würde sie in einer anderen Sphäre finden. Hätte mich jetzt jemand angesprochen, ich wäre nicht in der Lage gewesen, ihm auch nur ein Wort als Antwort zu geben, denn da steckten Nägel in meiner Kehle.
    Beide Hände legte ich gegen die Wangen. Beim ersten Kontakt zuckte ich zurück, weil sich die Haut meiner Mutter so kalt

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