101 - Der Unheimliche aus dem Sarkophag
Magier. Sie verfügten über Kenntnisse, die uns Heutige
verwundern. Sie kannten Kräuter und Essenzen, deren Herkunft uns noch
rätselhaft erscheint. Sie konnten lichtechte Farben herstellen, deren Analyse
uns ebenfalls noch nicht gelungen ist. Auch das Geheimnis der Einbalsamierung
spricht für sich. Ich bin Ägyptologe und habe solche Dinge studiert. Ich
spreche die Sprache und habe mich auch mit der Übersetzung jahrtausendealter
Hieroglyphen befaßt. Ein Rädchen greift ins andere. Plötzlich erkennt man
Zusammenhänge, und man fängt an, selbst zu experimentieren. Im Sarg der Nafri
fand ich Substanzen, die darauf hinweisen, daß die Mumie vor ihrer eigentlichen
Einbalsamierung mit Ingredienzien behandelt wurde, die nur ein Magier kannte.
Man sagt, von diesen Stoffen würde eine betäubende und vergessende Wirkung
ausgehen. In Verbindung mit dem Haar der Behandelten würden diese Stoffe
besonders aktiviert. Das alles waren Hinweise, doch der Versuch gab uns recht,
als wir in Not gerieten und ich es ausprobieren mußte.“
„Wie kam es zu dem Mord?“ wollte Larry Brent
wissen. Er leerte sein Rotweinglas und gab dem Ober zu verstehen, daß er zu
zahlen wünsche. Das Angebot Locons, noch mal mit in Merciers Wohnung zu kommen
und dort einen persönlichen Eindruck von den wunderbaren Experimenten zu
gewinnen, wollte er sich nicht entgehen lassen. Es sah beinahe so aus, als ob
in dieser Nacht alles über die Bühne gehen sollte.
„Das ist schnell erzählt. Es war meine
Schuld. Seit einiger Zeit brachte ich Nadine mit in die Wohnung von Jean
Mercier. Ein junges Mädchen, das sich sehr für alte Kultur und Geheimriten der
Ägypter interessierte und der ich in einer schwachen Stunde von dem einmaligen
Experiment erzählt hatte. Wir waren miteinander befreundet. Aber das war kein
Grund, sie ins Vertrauen zu ziehen. Lange hatte ich geschwiegen. Doch einmal
sagte ich es ihr. Ich konnte es riskieren, denn sie war ein Mensch besonderer
Art.“
„Wieso das?“
Locon schwieg eine Sekunde lang. „Darüber
möchte ich nicht sprechen. Ich glaube, es hat nichts mit dem Geschehen zu tun.“
X-RAY-3 beobachtete sein Gegenüber genau. Zog
Locon sich schon wieder in sein Schneckenhaus zurück, nachdem es anfangs so
ausgesehen hatte, als ob er erleichtert darüber sei, endlich die Sorgen, die
ihn bedrückten, los zu werden?
„Ich brachte sie also des öfteren mit, und sie studierte das Geheimnis der Kopierung. Nafri war inzwischen schon
fünfzehn geworden. Nadine, meine Freundin, nahm ich, wie bereits gesagt, öfter
mit. Während wir Männer nach neuen Erkenntnissen suchten, das Geheimnis um
Nafri auf alle Fälle lösen wollten, kümmerte Nadine sich um sie. Sie wollte ihr
das Sprechen beibringen. Die ganze Entwicklung der Kopie der viertausend Jahre
alten Mumie war verhältnismäßig glatt und normal verlaufen. Nur mit der Sprache
haperte es. Und gerade darauf legte ich besonderen Wert. Ich hoffte einmal zu
erfahren, welche Besonderheit bei Nafris Tod aufgetreten war. Es war
bedeutungsvoll. Das weiß ich. Dazu mußten wir es schaffen, ihre Entwicklung bis
zum dreiundzwanzigsten Lebensjahr durchzubringen. Dieses Alter wäre
entscheidend. Ich werde Ihnen, Wenn Sie Nafri zu sehen bekommen, mehr darüber
an Ort und Stelle erzählen. Nadine führte Nafri manchmal aus. Nur spät abends
und in der Nacht, wenn wir sicher sein konnten, daß niemand sonst auf das
achtete, was sich hier im Haus abspielte, woher Nafri kam und daß es sie
überhaupt gab. Wir wollten und mußten diese Dinge geheimhalten. Nadine führte
Nafri ins Freie. Zunächst in den Hof. Sie sollte ihre nähere Umgebung
kennenlernen. Manchmal spielten Mercier und ich sogar mit dem Gedanken, sie in
der Öffentlichkeit herumzuführen. Jedermann sollte sie sehen. Wir wollten, daß
sie die Gesellschaft kennenlernte. Manchmal hat man so verrückte Ideen, aber
dann führt man sie doch nicht durch. Es blieb also bei den nächtlichen
Abstechern in den Hof. Aber wir hatten etwas übersehen: Die Eigenart Nafris!
Ihre Entwicklung ging auf eine Zelle zurück, die wiederum aus einem
Zellenverband stammte, der einer besonderen Behandlung unterzogen worden war.
Es mag sich vielleicht komisch für Sie anhören, aber in einer fernen Zeit wußte
man mehr über Magie und Teufelsbeschwörung, als man heute auch nur zu ahnen
wagt.“
Larry nickte, als Locon ihn geheimnisvoll
ansah.
„Ich bin bereit, das zu glauben. Es gibt
Beweise dafür“, bemerkte der PSA-Agent.
Roger Locon legte
Weitere Kostenlose Bücher