101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)
Sprach- und Stilform bildet die Aga-Khan-Handschrift von Hundertundeine Nacht eine wahre Fundgrube für Lexikographen. Viele seltene Wörter und Redensarten sind hier zum ersten Mal belegt, so z. B. folgende Reimprosawendung:
law ṣ a ʿ idat ma ṣ ʿ ada š-šamsi (…) law ġ ī ṣ at ma ġ ī ṣ a r-ramsi
Selbst wenn sie so hoch wie die Sonne gestiegen oder im tiefsten Grab untergetaucht wäre …
Auch dass sich unsere Helden «wie eine Natter an ihr Opfer heranschleichen» (insalla ilayhā nsilāla ṣ - ṣ illi) ist eine nicht allzu häufig belegte, noch dazu eine schöne und elegante Redewendung.
DieHandschriftzeigteinigetypischePhänomenedesandalusischenArabisch,alsoderregionalenUmgangssprachedesmaurischenSpanien.SowirddieerstePersonSingulardesImperfektsoftmitdemPräfix na- statt a- flektiert:
Klassisch arabisch: aktubu – «Ich schreibe»
Andalusisch arabisch: naktubu – «Ich schreibe»
Die Partikel ki(n) vor einem Verb impliziert Eventualität:
lawlā mā kāna laka waladun kunta kin ta s ʾ alu llāha waladan
Hättest du keinen Sohn, so würdest du wohl zu Gott flehen, dass Er dir einen Sohn schenken soll.
Die typischen Lautverschiebungen der andalusischen Umgangssprache wie t zu ṭ , d zu ḏ etc. sind häufig anzutreffen; ebenso regelmäßig werden lange Vokale kurz und kurze lang geschrieben.
Auch Vokabeln aus dem andalusisch-arabischen bzw. maghrebinischen Wortschatz lassen sich finden, z. B. ma ṣ riyya , ein Terminus für die Mansarde im Dachgeschoss eines Hauses , ma ǧ lis für die Gemächer in Schlössern, ʿ azaf als typisch maghrebinisches Wort für «Palmblätter» oder bahār bzw. bihār als speziell andalusisches Wort für «Narzisse». Die Edition Ṭ aršūna listet zudem eine Reihe tunesischer Dialektwörter auf, die in ihrer tunesischen Leithandschrift aus dem 18. Jahrhundert vorkommen. 6
Alle diese regionalen Besonderheiten dürften für eine zukünftige Edition und wissenschaftliche Erschließung unserer handschriftlichen Quelle hochinteressant sein, sind jedoch in der Übersetzung ins Deutsche nicht mehr zu erkennen: Eine Übertragung etwa in deutsche Dialektausdrücke verbietet sich von selbst.
Prosa, Reimprosa und Gedichte
Wie in Tausendundeine Nacht , so ist auch in Hundertundeine Nacht ein auffälliger Kontrast zwischen drei verschiedenen Stilebenen festzustellen: Einfache, rasche Erzählsprache wird von Passagen in kunstvoller Reimprosa (arab. sa ǧ ʿ ) unterbrochen. Von Zeit zu Zeit untermalen klangvolle Gedichte, die nach den Mustern der klassischen arabischen Poetik komponiert sind, den Erzähltext.
Die Gedichte in Hundertundeine Nacht wurden im arabischen Monoreim übersetzt (a – a – b – a – c – a – d – a etc.), wenn möglich auch mit dem original arabischen Metrum. 7 Wurde ein Gedicht im arabischen Metrum übertragen, so steht der Name des Metrums über seiner Übersetzung; die Auflösung aller übersetzten Metren nach Versfüßen und Silben findet sich im Glossar.
Etwa die Hälfte der Gedichte aus Hundertundeine Nacht konnte auch in anderen Quellen klassischer arabischer Poesie nachgewiesen werden. Befanden sich bei solchen Gedichten Fehler oder Lücken im Text des Originals, so wurden sie im Zweifelsfall nach der geeignetsten Belegstelle des Gedichts in der Literatur korrigiert. Einige wenige Gedichte sind allerdings Gelegenheitstexte minderer Güte. Der schwierigste Fall, noch dazu durch fehlerhafte Textüberlieferung stark verderbt, ist das Gedicht «Er mag wohl Christ sein … » aus der Geschichte von Maslama Ibn Abdalmalik Ibn Marw â n (s. S. 98 f.).
Ungefähr ein Zehntel des arabischen Texts von Hundertundeine Nacht ist in Reimprosa gehalten, also in gereimten und zum Reimwort hin auch locker rhythmisch gebundenen Sinnabschnitten unterschiedlicher Länge und mit zwei-, drei- oder bis zu fünfmal wiederkehrendem Reim. Reimprosa ist die durchgängige Stilform des Korans und schon deshalb besonders prestigeträchtig. Die arabische Epik verwendet Reimprosa für die überwiegende Masse ihrer epischen Texte. In al-Andalus genoss Reimprosa darüber hinaus erhöhte Beliebtheit; zum Zeitpunkt der Niederschrift unserer Handschrift waren im maurischen Spanien bereits zahlreiche Reimprosawerke entstanden. 8 Reimprosa ergibt sich aufgrund der morphologischen Gegebenheiten der Sprache im Arabischen viel leichter und selbstverständlicher als im Deutschen. Viele arabische Worte sind nach demselben morphologischen Schema gebildet und reimen
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