101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)
spannenden Geschichte, verschloss die Tür, versiegelte sie mit seinem Siegel und begab sich in seine Regierungsgemächer.
Die dreiundvierzigste Nacht
Der König kam, brach das Siegel auf und schlief mit dem Mädchen bis zu der bewussten Zeit.
Da rief ihre Schwester Danisad ihr zu: ~ Ach, meine Schwester! Ach, Schahrasad, erzähle doch unserem Herrn, dem König, deine schönen Geschichten!
~ Einverstanden, erwiderte sie. ~ Und so, mein Gebieter, geht die Geschichte weiter:
Als al-Mu’tasims Schwester seine Schönheit, Vollkommenheit und Herrlichkeit erblickte, drang ihr die Liebe zu ihm mitten ins Herz. Sie befahl den Mädchen, ihn zu ihr zu bringen.
«W er bist du?», sprach sie zu ihm, nachdem er nahe herangekommen war. «Und was ist deine Geschichte?»
«Mit mir, o Herrin», entgegnete er , «hat sich eine überaus spannende Geschichte zugetragen.» Und er erzählte ihr seine Geschichte vom Anfang bis zum Ende.
Da erteilte sie Befehl , das Mädchen Gharîbat al-Husn zu holen. Sobald sie hereingekommen war und der junge Ägypter sie erblickt hatte, warf sie sich in seine Arme und küsste ihn zwischen die Augen. Al-Mu’tasims Schwester ließ unterdessen Speisen und Getränke auftragen. Schon begannen die weingefüllten Kelche unter ihnen zu kreisen. Und als die Seelen sich wohlzufühlen, die Gemüter köstlich zu genießen und die Augen sich zu röten begannen, als alle Aufregung sich gelegt hatte, griff das Mädchen zu einer Laute, stimmte die Saiten und sang die folgenden Verse:
«Hier ist der Frühling, dies ist seine blühende Natur.
Die Bäume schlagen aus. So herrlich ist der Frühling nur!
Trink deinen Wein und tu es zum Gedenken an den Liebsten,
Fort ist der Liebste, ewig fort, und dies ist seine Spur.»
Er berichtet weiter:
Sobald sie ihr Lied beendet hatte, nahm der junge Mann die Laute und sang dazu die folgenden Verse:
«Der Blick ins Antlitz des Geliebten ist die reine Lust.
Die Trennung vom Geliebten ist ein schmerzlicher Verlust.
Die Qualen, die ich litt, in Worte fassen kann ich nicht.
Nur Gott ist meine Marter und Erniedrigung bewusst.
Ich hatte Mitleid stets mit jedem, den die Liebe quält.
Jetzt bin ich selbst der Tropf, mit dem du Mitleid haben musst.»
Es wird erzählt:
Nachdem er sein Gedicht vorgetragen hatte, setzte er sich mit den beiden Mädchen zum Essen und zum Trinken nieder. Das ging so, bis die Nacht anbrach und der Rausch sie überwältigte. Da stieg der junge Ägypter aufs Bett und die beiden Mädchen mit ihm, nämlich Gharîbat al-Husn und Rîm al-Kasr, «die weiße Gazelle des Schlosses», die Schwester des Kalifen al-Mu’tasim. Alle drei waren volltrunken vom Wein.
Nun wollte es das Schicksal, dass der Kalif in dieser Nacht seine Schwester besuchen wollte. Er hatte sie schon seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen. Als nun die Nacht hereingebrochen war, legte er seine Hand fest um das Heft seines Schwerts, in die andere Hand nahm er eine Kerze, und ohne dass ihn jemand im Palast bemerkt hätte, begab er sich zum Gemach seiner Schwester Rîm al-Kasr. Er fand das Gemach offen. Die Mädchen darin schliefen fest. Eine Kerze war aufgesteckt. Der Kalif sagte etwas, aber niemand antwortete ihm. Er trat ans Bett und hob den Vorhang. Und was sah er da? Die beiden Mädchen schliefen, und in ihrer Mitte lag der junge Ägypter.
Der Kalif ergriff das Heft seines Schwerts und wollte sie schon alle miteinander totschlagen, doch dann ließ er von ihnen ab und ging stattdessen zum Gemach seiner Mutter. Die weckte er aus ihrem Schlummer, packte sie an der Gurgel und schrie sie an: «Hätte Gott nicht geboten, dass wir unsere Eltern ehren sollen, so würde ich dich als Allererste umbringen!»
«Mein Sohn!», fuhr sie entsetzt auf. «W as ist geschehen?»
Da berichtete er ihr, was vorgefallen war.
Sie stand schleunigst auf, trat zu den beiden Mädchen hinein und erblickte tatsächlich den jungen Mann zwischen ihnen. «W as fällt dir ein, so etwas zu tun?», herrschte sie den jungen Ägypter an, nachdem sie alle aus ihrem Schlaf geweckt hatte.
«Eine spannende Geschichte ist der Grund», sagte er. «Die Sache ist wirklich aufregend.»
«Schildere mir ganz genau, was du erlebt hast», verlangte der Kalif al-Mu’tasim, und der junge Mann berichtete ihm seine Geschichte.
Als al-Mu’tasims Mutter das hörte, hatte sie Mitleid mit ihm und sprach zu ihrem Sohn: «Du solltest nichts überstürzen, mein Kind. Gott ist milde und übereilt nichts.»
«Und was soll ich deiner
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