101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)
gefällt.
Er stieg also hinauf in das Dachzimmer, öffnete das Fenster und sagte zu dem Mädchen: «Stecke deinen Kopf hinaus und schau dir den Nil an!»
Sie steckte ihren Kopf durch das Fenster nach draußen, da packte er sie bei den Beinen und warf sie in den Nil hinab. Dort unten, genau unterhalb des Dachzimmers, war gerade ein Fischer in seinem Boot auf Fischfang. Als sie ins Wasser stürzte – alles das geschah in der Dunkelheit der Nacht – , bemerkte der Fischer etwas, das im Wasser strampelte. Also im Nil. Er ergriff das Mädchen, zog sie ins Boot und fuhr mit ihr zu seinem Haus. Der Fischer wohnte in einiger Entfernung von der Stadt am Ufer des Stroms.
Am nächsten Morgen stieg der junge Mann vom Dachzimmer hinunter und fand seinen Sohn in Tränen aufgelöst. «W arum weinst du?», erkundigte er sich.
«Ich habe doch meiner Mutter den Apfel geschenkt, den mir Onkel Soundso im Laden gegeben hat», schluchzte das Kind. «Und jetzt weiß ich nicht mehr, wo der Apfel ist!»
Da bereute der junge Mann, was er getan hatte, doch nützte ihm die Reue nun nichts mehr. Vor dem Vater des Mädchens und ihrer Verwandtschaft hielt er die ganze Angelegenheit geheim.
Eines Tages saß er auf dem Markt und grübelte über das Geschehene nach, als er plötzlich das Kleid seiner Cousine in der Hand eines Maklers entdeckte. «Bring mir den Besitzer dieses Kleides», beschwor er den Makler.
Der brachte den Mann herbei.
«W oher hast du dieses Kleid?», wollte der junge Mann wissen.
«Es ist mein Eigentum und meine Ware», versetzte jener.
«Sei ehrlich zu mir», verlangte er, «und erzähle mir die wahre Geschichte, dann schenke ich dir das Kleid und bezahle dir noch dazu seinen Kaufpreis.» Mit diesen Worten machte er sich zusammen mit dem Fischer auf den Weg zu dessen Dorf. Er trat in des Fischers Hütte und erblickte das Mädchen. Augenblicklich warf er sich ihr in die Arme und berichtete ihr, was ihm widerfahren war.
«Ach, mein lieber Cousin», sagte sie , «Gott möge gnädig verzeihen, was vergangen ist.»
Der junge Mann verbrachte diese Nacht als Gast bei dem Fischer.
Noch bevor der Morgen dämmerte, wandte sich der Fischer an den jungen Tuchhändler. «Möchtest du nicht lieber jetzt schon aufbrechen?», schlug er ihm vor. «Denn am Tage überfallen die Wegelagerer aus der arabischen Wüste hier die Reisenden.»
«Möge es Gott dir mit Gutem vergelten», bedankte sich der junge Mann.
An dieser Stelle unterbrach das Morgengrauen Schahrasad , und sie verstummte. Der König erhob sich, entzückt von ihrer spannenden Geschichte, verschloss die Tür, versiegelte sie mit seinem Siegel und begab sich in seine Regierungsgemächer.
Die sechsundvierzigste Nacht
Er spricht:
Und in der folgenden Nacht kam der König, brach das Siegel auf und schlief mit dem Mädchen bis zu der bewussten Zeit.
Da rief ihre Schwester Danisad ihr zu: ~ Ach, meine Schwester! Ach, Schahrasad, erzähle doch unserem Herrn, dem König, deine schönen Geschichten!
~ Einverstanden, erwiderte sie. ~ Und so, mein Gebieter, geht die Geschichte weiter:
DerjungeMannstiegaufseinPferdundließdasMädchenhintersichaufsitzen.Diebeidenritten,bissiesichetwazweiMeilenweitvomDorfentfernthatten.DortkehrtederFischerumundließsiealleinweitergehen.AufeinmalstürztenRäuberauseinemHinterhalthervor,raubtenihmdasMädchenundschmettertenihnzuBoden. Sie hatte aber einirakischesSchürzentuchumihrenKopfgewunden,dasnahmsicheinerderRäuber.DerjungeMannbliebbewusstlosaufderErdeliegen.SpäterstanderaufundgingnachHause.Dortwussteniemand,was ihm zugestoßen war. Er kehrte in seinen Laden zurück und begannwieder zu verkaufen und zu kaufen, wobei er unablässig an seine Cousine dachte.
Eines Tages saß er so in seinem Laden, als er in der Hand des Maklers plötzlich das Schürzentuch sah. «W o hast du diese Schürze her? Wer hat sie dir gegeben?», sprach er den Makler an .
«Ich habe sie von einem Beduinen aus der arabischen Wüste», sagte der.
«Herbei mit ihm!» verlangte er. «Und zwar sofort!»
Als der Beduine erschien, grüßte er ihn und wandte sich dann an ihn mit den Worten: «Erkennst du mich wieder, Bruder Beduine?»
«Nein, nein, ich kenne dich nicht», entgegnete der Beduine.
«Ich bin es, Soundso, der Sohn von dem und dem», behauptete der junge Mann und fügte hinzu: «Du hast doch dreitausend Goldstücke bei mir hinterlegt.» Damit wollte er ihn hinters Licht führen.
«Ach ja, natürlich», besann sich der andere .
«Bruder Beduine», sagte
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