101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)
Vielleicht könnte er sich ja selbst solche backen. Der Diener kam also wieder zu dem Mädchen. ‹W ie hast du die Brote gemacht?›, wollte er wissen. Folgendes war ihre Antwort: ‹Mein Herr hatte einen Abszess am Rücken, und der Arzt hat ihm verordnet, man solle feinstes Mehl mahlen, mit Honig und Butterfett verkneten und diesen Teig auf den Abszess legen. Das haben wir getan. Und immer wenn wir mit der Behandlung fertig waren, haben wir zwei Brote daraus gebacken. Die hast du mir dann abgekauft.› Der Diener berichtete es seinem Herrn.
Als der Kaufmann seinen Bericht gehört hatte, erhob er ein Wehgeschrei. ‹Ich wasche mir sofort den Mund aus und bade meinen ganzen Körper›, jammerte er. ‹Aber wie soll ich meinen Bauch von innen reinigen?›
Diese Geschichte habe ich dir nur deshalb erzählt, damit du deinen Sohn nicht vorschnell tötest. Denn das Mädchen macht dir deinen Sohn genauso ungenießbar wie dem Kaufmann sein Brot.» Und er erhob die Stimme und sprach die Verse:
«Nimm dir Zeit und tue, was du tun willst, nie zu schnell!
Gnädig sei, dann wirst du gnädig vor Gericht gestellt.
Keine Hand gibt’s, über der sich Gottes Hand nicht streckte.
Keinen Schurken gibt’s, den nicht ein andrer Schurke fällt.»
«Auch ist mir zu Ohren gekommen», fuhr der zweite Wesir fort zu erzählen, «dass die List und Tücke der Weiber ungeheuerlich ist und zu Geschichten führt, die man schier nicht beschreiben kann.
Dies ist eine solche Geschichte:
[Der Dienstjunge in der Vorratskammer]
Eine Frau hatte einen Liebhaber und ihren Ehemann. Ihr Liebhaber gehörte zur engsten Gefolgschaft des Königs. Eines Tages schickte ihr Liebhaber seinen jungen Diener aus, damit der nachsehen sollte, ob der Ehemann der Frau fortgegangen sei oder nicht. Als der Diener zu ihr hereinkam, gefiel er ihr. Sie bot sich ihm an, und er folgte ihrem Angebot.
Unterdessen wunderte sich sein Herr, dass er so lange ausblieb, und ging ihm nach zu ihrem Haus. Als die Frau bemerkte, dass ihr Liebhaber kam, versteckte sie den Dienstjungen. Der Liebhaber trat zu ihr herein und fragte sie nach dem Jungen. ‹Er ist gekommen und hat mich gefragt, ob der und der, mein Ehemann, zu Hause sei oder nicht›, antwortete sie. ‹Dann ist er schnell wieder hinausgegangen.› Ihr Liebhaber blieb nun bei ihr, um seine Lust an ihr zu befriedigen.
Während er gerade zugange war, erschien plötzlich der Ehemann der Frau. Ihr aber war es zuwider, dass er bei ihr liegen würde. Auch hatte sie Bedenken, den Liebhaber zu verstecken, weil sie befürchtete, er könnte seinen Diener entdecken. Also sagte sie zu ihrem Liebhaber: ‹Steh auf, zieh dein Schwert, stelle dich an die Zimmertür, schreie mich an und bedrohe mich. Dann verschwinde, ohne ein Wort zu meinem Ehemann zu sagen.› Das tat er. Er stürmte also aus dem Haus, das gezückte Schwert in der Hand, wobei er die Frau beschimpfte und bedrohte. Der Ehemann der Frau sprach ihn an und fragte ihn etwas, aber er gab keine Antwort, sondern rannte zur Tür hinaus. Nun trat der Mann zu seiner Ehefrau hinein. ‹W ehe dir!›, drohte er. ‹W as hat dieser Mann hier zu suchen?› – ‹Diesem Mann ist sein junger Diener entlaufen›, gab sie an. ‹Der Junge hat bei mir Hilfe gesucht und sich in unser Haus geflüchtet. Der Mann war ihm auf den Fersen und wollte ihn mit dem Schwert totschlagen. Aber ich habe mich gewehrt und habe ihm nicht gestattet, meine Privaträume zu betreten.› – ‹Und wo ist der junge Diener?›, wollte ihr Ehemann wissen. ‹In der Vorratskammer›, erwiderte sie. Daraufhin ging der Ehemann der Frau noch einmal vor die Tür, um nachzusehen, ob der Herr des Dieners inzwischen weggegangen sei oder nicht. Da er keine Spur mehr von ihm finden konnte, kehrte er in sein Haus zurück , trat in die Vorratskammer und rief dem Dienstjungen zu: ‹Dein Herr ist weg, du kannst rauskommen!›
Diese Geschichte habe ich dir erzählt, damit du dich von dem, was die Frauen sagen, nicht täuschen lässt und nicht auf Weiberreden hörst.»
Als der König seine Rede gehört hatte, befahl er, dass sein Sohn nicht getötet würde.
Am dritten Tag kam die Frau wieder. Sie hatte ein Messer bei sich. «Deine bösen Wesire haben dich aufgehalten», beklagte sie sich, «darum werde ich mich jetzt mit diesem Messer töten, und mein sündhafter Selbstmord wird auf deinem Gewissen lasten. Das ist mir lieber, als in diesem Zustand weiterzuleben, nach all dem, was dein Sohn mir angetan hat. Du darfst auf
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