101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)
ihm genießen, wird schwinden.»
Da meldete sich einer der Wesire zu Wort. «Ich werde euch seinen Tod für heute aufschieben», kündigte er an und sagte zu den Dienern, die ihn töten sollten: «Haltet ihn mir zurück, bis ich vom König wiederkomme.»
Mit diesen Worten eilte der Wesir zum König. «Majestät!», sagte er, sobald er eingetreten war. «Könige dürfen nichts tun, ohne sich zuvor beraten zu lassen. Außerdem soll ein König milde sein und keine übereilten Entscheidungen treffen.» Und er erhob die Stimme zu den Versen:
[ Chafîf ]
«Eile nicht, überstürze nichts und sei milde.
Halte treu deinen Bund in jedem Gefilde.
Töte nicht deinen Sohn, bevor treue Zeugen
Dir bestätigen, was dein Sohn führt im Schilde!»
[Die Löwenspur]
«Es ist mir zu Ohren gekommen, o König», fuhr der Wesir fort, «dass es einmal einen König gab, dem man nichts zeigen konnte, ohne dass er Gefallen daran fand. Eines Tages saß er auf einer seiner Aussichtsterrassen, als plötzlich ein schönes, anmutiges Mädchen an ihm vorbeispazierte. Sie gefiel ihm, und er wollte sie für sich haben . ‹Alles, was du von mir begehrst, sollst du haben›, entgegnete sie. ‹Schaue nur in dieses Buch, so lange, bis ich wiederkomme.› Und sie gab ihm ein Buch, das ihrem Ehemann gehörte und das vom Verbot des Ehebruchs und anderen Todsünden handelte. Der König schlug das Buch auf und las von den Strafen, die den Ehebrecher erwarten. Da bereute er, was er begehrt hatte. Er verließ ihr Haus und ging wieder fort zu seiner Residenz. Dabei vergaß er seine Pantoffeln im Haus des Mädchens.
Als der Ehemann des Mädchens nach Hause kam ,saherdortdiePantoffelndesKönigsstehen.Sofortwarihmklar:DiesePantoffelnkonntenaufkeinemanderenWegeinseinHausgekommenseinalsimVerlaufeeinesTechtelmechtels,daszwischendemKönigundseinerFraustattgefundenhatte.ErtratwiederausdemHausundsprachkeineinzigesWort,ausAngstvordemKönig.SeinerFraunäherteersichfortannichtmehr.Dasbekümmertesie,undsieschicktezuihrerFamilieundbeklagtesichbeiihnen:‹MeinMannhatmichverlassenundverkehrtnichtmehrmitmir.›DaluddieFamiliederFraudenMannvordenKönig.‹Majestät›,fingensiean,ihreKlagevorzutragen,‹wirhatteneinStückLand,dashabenwirdiesemMannhierverkauft.ErhateseineZeit langgutbestelltundbeackert.DannhateresplötzlichverlassenundistvieleTagelanggarnichtmehrhingegangen.Entwedererbeackertesjetztwiederwiezuvor,oderermussesunszurückgeben!› – ‹W assagstduzuihrenVorwürfen?›,wandtesichderKönigandenEhemann.‹Esstimmt›, bestätigte er , ‹siehabenmireinStückLandgegeben,undichhabeesimmergutbeackertundbestellt.DocheinesTages,alsichaufmeinenAckerging,habeichdieSpureinesLöwendortgefunden.Darumbinichnichtwiederhingegangen,ausAngstvordemLöwen.› – ‹Duhastrecht›,sagtederKönig.‹DerLöwewartatsächlichaufdeinemAcker,abererhatdortkeinenSchadenangerichtet.AlsogehwiederzurückzudeinemStückLandundbeackereesohneFurcht.›DakehrtederMannzuseinerFrauzurück,dennerhattegroßeLustaufsie.
Ich habe auch eine Geschichte über die List der Weiber gehört, o König, denn ihre Tücke ist ungeheuerlich. Die kann ich dir erzählen. Und diese Geschichte geht so:
[Der Papagei]
Es war einmal ein eifersüchtiger Ehemann, der hatte eine schöne Frau. Aus lauter Eifersucht vermied er es, auf Reisen zu gehen. Also kaufte er einen Vogel, und zwar einen solchen, den man Papagei nennt. Dem brachte er das Sprechen bei, setzte ihn in einen eisernen Käfig und gab ihm die Anweisung, er dürfe ihm nichts von dem, was sich in seinem Hause abspiele, verschweigen, sondern müsse ihm in jedem Fall alles weitersagen.»
An dieser Stelle unterbrach das Morgengrauen Schahrasad , und sie verstummte. Der König erhob sich, entzückt von ihrer spannenden Geschichte, verschloss die Tür, versiegelte sie mit seinem Siegel und begab sich in seine Regierungsgemächer.
Die einundsechzigste Nacht
Er spricht:
Und in der folgenden Nacht kam der König, brach das Siegel auf und schlief mit dem Mädchen bis zu der bewussten Zeit.
Da rief ihre Schwester Danisad ihr zu: ~ Ach, meine Schwester! Ach, Schahrasad, erzähle doch unserem Herrn, dem König, deine schönen Geschichten!
~ Einverstanden, erwiderte sie. ~ Und so, mein Gebieter, geht die Geschichte weiter:
«Der Mann verreiste also, und wenig später nahm sich die Frau einen Liebhaber. Der Vogel aber beobachtete alles, was sie taten.
Kaum war der Mann von seiner Reise zurückgekehrt , nahm er sich den Papagei vor und befragte ihn. Der
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