101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)
eines Tages in den Hammam, um dort zu baden und sich zu waschen. Er war ein dicker Junge, so fett, dass sein Penis kaum zu sehen war.
Als ihn der Besitzer des Hammams sah, brach er in Tränen aus. ‹W arum weinst du?›, erkundigte sich der Königssohn. ‹W enn ich dich so anschaue, kann ich gar nicht sehen, ob du ein Mann bist›, gab der zurück. ‹Ich fürchte, du wirst niemals zu einer Frau kommen können!› – ‹Ach Gott›, dachte der Königssohn bei sich, ‹mein Vater will mich demnächst verheiraten, und ich weiß gar nicht, ob ich dazu imstande bin!› – ‹Nimm diesen Dinar›, wandte er sich wieder an den Besitzer des Hammams, ‹und suche mir dafür eine schöne Frau aus, an der ich mich erproben kann.› Und der Badehausbesitzer nahm den Dinar. Er hatte aber selbst eine schöne Frau. ‹Den Dinar behalte ich, und ich bringe ihm meine eigene Frau›, sprach er zu sich selbst. ‹Er kann ja doch nichts mit ihr anfangen.› Und er holte seine Frau herbei und brachte sie zu dem Königssohn in den Hammam. Dann stellte er sich an ein Guckloch. Er spähte hindurch und beobachtete, wie jener seine Frau auf den Rücken legte und sie beschlief. Als er sah, was der Königssohn da mit seiner Frau trieb, erhob er ein Klagegeschrei, rannte nach Hause, nahm einen Strick, knüpfte ihn sich um den Hals und zog fest zu, bis er starb.»
An dieser Stelle unterbrach das Morgengrauen Schahrasad , und sie verstummte. Der König erhob sich, entzückt von ihrer spannenden Geschichte, verschloss die Tür, versiegelte sie mit seinem Siegel und begab sich in seine Regierungsgemächer.
Die sechsundsechzigste Nacht
~ Und so, mein Gebieter, sagte sie, ~ geht die Geschichte weiter:
«Ich werde dir noch etwas von der Tücke und Verschlagenheit der Weiber erzählen», sagte der Wesir zum König. «Und diese Geschichte geht so:
[Die weinende Hündin]
Eine Frau hatte einen Ehemann, der weit entfernt auf einer Reise weilte. Die beiden hatten miteinander vereinbart, dass keiner den anderen betrügen dürfe. Der Mann hatte seiner Frau mitgeteilt, wann er zurückkommen werde, und für diesen Zeitpunkt hatten sie sich verabredet. Als die vereinbarte Frist da war, ohne dass ihr Ehemann zurückkam, trat die Frau an die Tür ihres Hauses und schaute die Straße hinunter. In diesem Moment erblickte sie ein anderer Mann. Er versuchte sie zu verführen, doch sie wies ihn ab. Da ging der Mann zu einem alten Weib, das in ihrer Nachbarschaft wohnte. ‹Ich bin in die und die Frau verliebt›, sagte er zu ihr. ‹Kannst du nicht meiner Seele Trost verschaffen und mich mit ihr zusammenführen? Dafür bezahle ich dir einen Dinar.› – ‹Gut›, sagte die Alte, ‹das kann ich einrichten.› Sogleich stand sie auf, nahm einen Batzen Teig, würzte ihn mit einer großen Menge scharfen Pfeffers, verknetete ihn mit Schmalz und buk den Teig zu einem runden Brotfladen. Dann ging sie zu dem Haus der Frau, in die der Mann verliebt war. Die Alte hatte aber eine Hündin, die sie stets begleitete. Die Hündin folgte ihr zum Haus der Frau. Dort angekommen, begann die Alte das Brot zu zerstückeln und die Hündin mit den Brotkrumen zu füttern. Die Hündin fraß die Brotkrumen gierig, denn das Schmalz, das darin war, schmeckte ihr. Bald aber tränten ihr die Augen von dem scharfen Pfeffer. So trat die Alte zu der Frau ins Haus, und die Hündin kam, weinend und mit dem Schwanz wedelnd, hinter ihr her. ‹W as ist denn mit der Hündin los?›, sprach die Frau zu der Alten. ‹W arum folgt sie dir und weint dabei?› – ‹Ach, meine Tochter›, entgegnete die Alte , ‹diese Hündin war einmal ein Mädchen. Ein Mann hatte sich in sie verliebt und hat versucht, sie zu verführen, sie aber hat ihn abgewiesen. Da hat er sie verwünscht, und sie wurde in eine Hündin verwandelt, wie du siehst. Als die Hündin mich sah, hat sie angefangen zu weinen und mit dem Schwanz zu wedeln. Seitdem streicht sie um mich herum.› – ‹Alte›, sagte das Mädchen, ‹bei mir war auch ein Mann, der mich verführen wollte, und ich habe ihn abgewiesen. Da bin ich doch jetzt nicht sicher davor, dass er mich nicht auch verwünscht? Wenn du einen Weg findest, ihn zu mir zu bringen, bekommst du von mir einen Dinar!› – ‹Ich werde ihn dir bringen›, versprach die Alte und ging aus dem Haus, um ihn zu suchen. Das Mädchen machte sich unterdessen hübsch, parfümierte sich und stellte Essen auf den Tisch, während die Alte durch die Straßen streifte, ohne eine Spur von
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