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101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)

101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)

Titel: 101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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widerfahren?», erkundigte er sich, als er sie in diesem Zustand sah.
    «W ie sollte ich nicht traurig sein?», entgegnete sie. «Es ist wegen dieses widerlichen alten Greises.»
    «Nein, du darfst nicht traurig sein», tröstete sie ihr Bruder und versprach ihr: «Ich werde dich vor ihm retten und deine Hand aus seiner Rechten lösen.»
    Damit trat er bei seinem Vater ein. «V äterchen», sprach er ihn an, «wofür hastdu diesem alten Greis versprochen, dass er dein Schwiegersohn werden darf?»
    «Für seine Weisheit und Kunstfertigkeit», antwortete der König.
    «W as hast du denn gesehen von seiner Kunst?», fragte der Junge.
    «Dieses Pferd, das du hier siehst», erwiderte er.
    Der Junge besah sich das Pferd. «Ich will es reiten», sagte er, trat auf das Pferd zu, schwang sich in den Sattel und wollte das Pferd antreiben. Doch es rührte sich nicht von der Stelle.
    Als der König das sah, sagte er zu dem Weisen: «W as ist mit dem Pferd los? Mein Sohn will es reiten, und es bewegt sich nicht.»
    Der Weise stand auf und drehte an der Abflugschraube. Sofort setzte sich das Pferd in Bewegung. Sobald der Königssohn begriff, wie er die Schraube zu betätigen hatte, packte ihn der Übermut. Schon füllte sich der Bauch des Pferdes mit Luft, und es begann zu fliegen.
    Der König schaute hinauf zu seinem Sohn, bis dieser aus seinen Augen verschwunden war. Als er aber allzu lange fortblieb, wandte er sich an den Weisen: «Bring mir meinen Sohn zurück!», verlangte er.
    «Daran ist gar nicht zu denken!», gab der Weise zurück. «Du wirst ihn nie wiedersehen.»
    «Aber wieso denn das?», ereiferte sich der König.
    «Dein Sohn hat es vor lauter Übermut und Stolz versäumt, mich nach der Schraube für die Landung zu fragen», erklärte der Weise. «Nun wird er immer weiter in die Höhe steigen, bis die Winde ihn herumwirbeln werden.»
    Er spricht:
    Als der König ihn das sagen hörte, verfärbte sich sein Gesicht. Er riss sich die Krone vom Kopf und sank ohnmächtig zu Boden. Man besprengte sein Gesicht mit Wasser, da kam er wieder zu sich und erteilte den Befehl, dass der Weise ins Gefängnis geworfen würde. Am Schicksal seines Sohnes verzweifelte er zusehends. Er verfiel in tiefe Trauer, kleidete sich in härene Gewänder und nahm weder Essen noch Trinken zu sich.
    Wie aber erging es unterdessen dem Königssohn? Als er bemerkte, wie er immer höher in die Lüfte stieg, bereute er, was er getan hatte. Ihm war klar, dass das Pferd nur durch eine weitere Drehung zur Landung zu bewegen wäre. Also untersuchte er das Pferd und fand schließlich auf der linken Seite eine kleine Schraube. Er drehte an ihr, und das Pferd begann zu sinken. Dann drehte er wieder an der ersten Schraube, und es gewann wieder an Höhe. Jetzt hatte er verstanden, dass die linke Schraube für den Sinkflug und die rechte für den Steigflug bestimmt war. Frohen Mutes drehte er die Landeschraube, und das Pferd sank ganz allmählich. Immer niedriger glitt es mit ihm durch die Luft, den ganzen Tag lang bis in die Nacht.
    An dieser Stelle unterbrach das Morgengrauen Schahrasad, und sie hörte auf zu erzählen.
    Die sechsundachtzigste Nacht

    ~ Mein Gebieter!, fuhr sie in ihrer Erzählung fort:
    ~ Endlich sichtete der Königssohn eine Stadt ganz aus weißem Marmor. Dort gab es Flüsse, Bäume und Früchte. «Ich möchte wohl wissen, was für eine Stadt das ist», dachte er bei sich und ließ sich weiter sinken, bis er auf dem Dach eines Palasts gelandet war, der aus Silber gebaut zu sein schien. «W em wohl dieser Palast gehören mag?», überlegte er weiter. Und er begann links und rechts herumzustreifen. Dabei sprach er zu sich selbst: «Ich werde wohl kein schöneres Plätzchen zum Übernachten finden als diesen Ort. Sobald es wieder heller Tag ist, steige ich auf mein Pferd und fliege zurück zu meinem Vater. Dann werde ich ihm alles erzählen, was ich mit dem Pferd erlebt habe.» Mit diesen Gedanken ließ sich der Königssohn auf dem Dach nieder, warf sich zu Boden, um Gott, dem Erhabenen, zu danken, ging dann um sein Pferd herum und betrachtete und bewunderte es von allen Seiten. «W enn mich Gott, der Erhabene, in mein Land heimführt», gelobte er, «werde ich mich dem weisen Perser gegenüber erkenntlich zeigen.» Der Königssohn lehnte seinen Rücken gegen das Pferd und schlief, erschöpft von den Anstrengungen des Tages, ein.
    Als er wach wurde, verspürte er Hunger und Durst. «In diesem Palast gibt es sicher etwas zu essen und zu trinken»,

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