101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)
habt ihr denn gesehen von seinen Betrügereien?»
«Er behauptet, er wäre ein Weiser», berichteten sie. «Als unser König eines Tages mit seinen Freunden zur Jagd auszog, fand er ihn neben einem Mädchen und einem Holzpferd sitzend. Er hat vorgegeben, ihr Ehemann zu sein, aber sie hat ihn einen Lügner gescholten und erklärt, er hätte sie entführt. Da hat der König sie mitgenommen in seinen Palast. Als er sie aber für sich begehrte, hat sie ihn abgewiesen. Inzwischen ist sie verrückt geworden», fuhren sie fort zu erzählen, «und der König hat dem, der sie heilen kann, die Hälfte seines Vermögens versprochen. Der Weise aber sitzt hier bei uns herum und hat vor lauter Trauer um sie noch nichts gegessen und nichts getrunken.»
Es wird erzählt:
Als der Königssohn die Männer von dem Mädchen erzählen hörte, freute er sich sehr. Auch über den Inhalt der Erzählung war er froh, dochhütete er sein Geheimnis in seinem Herzen und begann sich stattdessen mit ihnen zu unterhalten, bis Gott den Morgen grauen ließ. Nun schleppten sie ihn vor den König und meldeten diesem die genaue Zeit seines Eintreffens.
«W er bist du, unbekannter Jüngling?», verhörte ihn der Page. «Aus welchem Land bist du gekommen? Und was ist dein Beruf?»
«Majestät»,erwidertederjungeMann,«wasdieFragenachmeinemNamenbetrifft,soisteseinpersischerName.MeinHeimatlandistPersien,undaufdieFragenachmeinemBerufkannichantworten:IchbinArztundverstehemichdarauf,KrankeundVerrücktezuheilen.MitmeinerKunstzieheichdurchdieLande,umdenMenschenzudienenundzuhelfen.DabeiberufeichmichaufGottesWort,dasdaheißt:‹Übereinemjeden,derWissenhat,stehteinWissender.›»
Als der König seine Rede gehört hatte, freute er sich sehr über ihn. «W eiser Mann», sagte er, «du bist zur rechten Zeit gekommen, da wir dich brauchen. Eines meiner Mädchen ist geisteskrank, und wenn du sie von ihrem Wahnsinn befreist, teile ich mein Königreich mit dir.»
«Mir obliegt es, mich zu bemühen», gab der junge Mann zurück, «doch die Heilung kann nur Gott gewähren.» Dann forderte der Königssohn den König auf: «Beschreibe mir genau, wie es um das Mädchen steht und auf welche Weise der böse Geist Besitz von ihr ergriffen hat.»
Und der König erzählte ihm ihre Geschichte und berichtete ihm, wie er sie dem greisen Weisen abgenommen hatte.
«Und was hast du mit dem Pferd getan?», wollte der Königssohn wissen.
«Es steht in meinem Schatzhaus», antwortete der König, «aber wir wissen nicht, wie es funktioniert und ob es zu irgendetwas nütze ist oder etwa Schaden anrichten kann.»
Da sprach der Königssohn zu sich selbst: «Es wird das Beste sein, wenn ich mir das Pferd erst einmal ansehe und es genau untersuche, bevor ich irgendetwas anderes tue. Denn sollte es sich der König plötzlich anders überlegen, kann ich ihn damit überlisten und mich schnell in Sicherheit bringen.» – «Ich möchte mir das Pferd einmal ansehen», wandte er sich wieder an den König. «V ielleicht gibt es irgendetwas daran, das mir dabei nützlich sein kann, die Krankheit des Mädchens zu lindern.»
Sogleich erhob sich der König, nahm ihn an der Hand, führte ihn in sein Schatzhaus und zeigte ihm das Pferd.
Der Königssohn umkreiste es, prüfte seine Mechanik und fand es in unbeschadetem Zustand. Da wusste er, dass seine List glücken würde. «Jetzt möchte ich das Mädchen sehen», sagte er zum König, und der führte ihn zu ihr.
Sowie das Mädchen den Königssohn sah, fing sie an, wild um sich zu schlagen und zu zetern. Das tat sie, um den König zu täuschen, damit er ihr nicht zu nahe käme.
Der Königssohn wäre vor Freude fast vornübergefallen, als er sie sah. «Ich nehme meine Zuflucht zu Gott vor dem verfluchten Satan», deklamierte er, indem er auf sie zutrat. «Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen!»
Sie aber schlug sich ins Gesicht, erhob ihre Stimme und schrie noch lauter.
Währenddessen zwinkerte er ihr zu und raunte: «Mach weiter so! Mehr davon!» – «Majestät», wandte er sich dann an den König, «Lass dich von ihrem Geschrei nicht ängstigen. Ich werde sie heilen, so Gott will.»
Dafür dankte ihm der König.
An dieser Stelle unterbrach das Morgengrauen Schahrasad, und sie hörte auf zu erzählen.
Die dreiundneunzigste Nacht
So spricht Faharâyis, der Philosoph:
~ Mein Gebieter!, fuhr sie in ihrer Erzählung fort:
~ Der König machte ihm nun allerhand schöne Versprechungen.
Der junge Mann aber sagte: «Bring mir ein
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