1012 - Der programmierte Mann
bestochen, dachte Bruke Tosen voller Abscheu. Alle haben sich in den Dienst der Springer gestellt. Ich scheine der einzige zu sein, der hier noch ehrlich ist.
Er wußte jetzt, daß es sinnlos gewesen wäre, zu irgend jemandem am Raumhafen zu gehen und Beschwerde einzulegen oder gar Anzeige zu erstatten. Damit hätte er nichts erreicht. Er hätte höchstens seinen Arbeitsplatz riskiert und sich selbst damit in den Bereich einer vorzeitigen Pensionierung gerückt.
Und das mit einundvierzig Jahren! überlegte er.
Zugleich erkannte er, daß er an einem Scheideweg war.
Ihm blieb keine andere Alternative, als sich ebenfalls bestechen zu lassen, oder sich aufzulehnen. Wählte er aber die zweite Möglichkeit, dann mußte er sich direkt an den Bürgermeister von Jarvon wenden, weil sonst die Gefahr bestand, daß seine Proteste irgendwo auf dem Dienstweg versandeten.
Sie sollen wissen, daß sie mich nicht für dumm verkaufen können, dachte er, nahm Primas auf die Schulter, legte ein Atemschutzfilter an und ging auf die Landebahn hinaus.
Aus den zahllosen Hangars schwebten Lastencontainer mit den verschiedensten Waren herab.
Primas wurde unruhig. Er hob den langgestreckten Kopf und schnüffelte, obwohl der nächste Container noch fast fünfzig Meter von ihm entfernt war.
„Was ist los?" fragte Tosen erstaunt. „Wenn du auf diese Entfernung schon etwas aufspürst, dann muß der Container bis obenhin voll mit verbotener Ware sein."
„He, Bruke", rief eine bekannte Stimme hinter ihm.
Er drehte sich in der Überzeugung um, daß Formier gekommen war, um ihn mit allen nur erdenklichen Mitteln von der Ladung der XIN-I abzulenken, und er war fest entschlossen, sich um keinen Preis weglocken zu lassen.
„Was ist los?" fragte er.
Formier reichte ihm eine kleine Metallkapsel.
„Das ist eben für dich abgegeben worden", erklärte er. „Ein Junge soll es gebracht haben."
Danach ging er weiter, ohne sich um ihn zu kümmern.
Tosen zögerte lange, bis er die Kapsel öffnete. Dann zog er einen positronisch versiegelten Brief daraus hervor. Er wollte ihn wieder in die Tasche schieben und ihn später lesen, doch die Neugier gewann die Oberhand. Er kehrte in sein Büro zurück und schob den Brief ins Video-Lesegerät. Eine zierliche Handschrift erschien auf der Bildfläche.
„Mein Lieber - irgendwie haben sie herausgefunden, wo ich bin. Bitte, hilf mir. Ich bin in Not. S.-L."
Bruke Tosen meldete sich über Video bei seinem Vorgesetzten und bat ihn, den Dienst für heute sofort beenden zu dürfen. Er erhielt die Erlaubnis. Er bedankte sich und stürmte aufs Dach des Raumhafengebäudes, wo mehrere Taxigleiter standen. In seiner Erregung hätte er fast vergessen, ein Atemschutzfilter anzulegen. In fliegender Eile gab er seine Karte in den Schlitz des Automaten, und die Maschine startete. Er brachte sie innerhalb weniger Sekunden auf Höchstgeschwindigkeit.
Namenlose Angst erfüllte ihn.
Er war sich darüber klar, was es bedeutete, wenn Xingar tatsächlich herausgefunden hatte, wo Sintha-Lee war.
Ein Springer läßt sich nichts wegnehmen, ging es ihm durch den Kopf, schon gar nicht seine Frau.
Voller Ungeduld und Angst blickte er durch die Frontscheibe. Der Tag war klar und hell.
Ein leuchtend blauer Himmel spannte sich über dem vulkanischen Land. Tosen konnte sogar die Vulkane sehen, die auf einigen Inseln dem Kontinent vorgelagert waren. Doch es wurde ihm nicht bewußt.
Seine Gedanken waren ausschließlich bei Sintha-Lee. Für sie befürchtete er das Schlimmste.
Er hielt es sogar für möglich, daß der Springerpatriarch sie in seinem Zorn umbrachte, um sich an ihr und ihm zu rächen. Tosen sah größte Schwierigkeiten für sich voraus für den Fall, daß Sintha-Lee etwas passiert war. Wenn Xingar sie getötet hatte, dann würde der Verdacht auf ihn fallen. Er hatte den Bungalow gemietet Er hatte Schwierigkeiten nicht nur mit dem Springer, sondern auch mit den Kollegen, sogar mit dem Vorgesetzten gehabt.
Bruke Tosen wurde übel bei dem Gedanken, was seine Kollegen tun würden, wenn ein Verdacht auf ihn fiel und sie dazu befragt werden würden. Sie standen alle auf der Seite Xingars, der ihnen ein ansehnliches Bestechungsgeld bezahlte.
Das Haus, in dem Sintha-Lee war, stand über einem Steilhang an der Küste. Von hier reichte der Blick bis weit in den Westen über die See. Es war ein weißes, luxuriöses Haus, das mit automatischen Atemschleusen und Filtern versehen war, so daß man sich in seinem Innern frei
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