1013 - Der Blut-Abt
draußen.
»Siehst du etwas?«
»Noch nicht, John. Aber ich gehe davon aus, daß der verfluchte Blutsauger in der Nähe ist. Irgendwo habe ich das Gefühl, ihn schon riechen zu können.«
Ich zuckte zusammen, weil ich aus dem Kloster einen lauten Ruf und ein polterndes Geräusch gehört hatte. Noch fiel kein Schuß. Ich überlegte, ob ich richtig handelte, wenn ich einfach hier draußen stehenblieb und abwartete.
Zudem mußte der geheimnisvolle Hexenmeister nicht den normalen Eingang benutzen. Er konnte von allen Seiten her den Bereit des Klosters betreten.
Er war schon nahe. Auch mein Gefühl trog nicht. Er mußte sich nur noch versteckt halten. Zu riechen war er nicht, aber ich wurde aufmerksam, als sich die Vögel plötzlich erhoben. Alle auf einmal wirbelten in die Höhe, ich hörte das Flattern ihrer Schwingen, und dann sah ich sie zu den Wolken aufsteigen.
Auch der Pfähler hatte dieses fremde Geräusch mitbekommen. Er drehte sich um und entdeckte die Tiere. Für ihn war es ein Omen, denn der Hexenmeister konnte nicht mehr weit sein.
»John, es geht gleich los!« Marek wies mit dem Pfahl gegen die Vögel. »Sie erwarten ihn…«
Wir ließen sie nicht aus den Augen. Zwar hatten sie den Bereich des Innenhofs verlassen, aber sie flogen nicht weit in das Land hinein, sondern schwebten nahe genug auf der Stelle.
Ein Schuß fiel.
Nicht von uns abgegeben, dafür im Kloster. Ich drehte reflexartig den Kopf, ohne erkennen zu können, was dort hinter den Mauern eigentlich passiert war.
Das Geschehen lief bei uns ab.
Mareks wütender Schrei machte es mir klar, denn der Hexenmeister war plötzlich da, als wäre er aus den düsteren Wolken auf die Erde gefallen.
Er stand schon auf dem Innenhof. Klar malte er sich ab, da sich die dunklen Vögel im Hintergrund hielten, als wollten sie seinen Rücken schützen.
»Nicht, Marek!« Ich hatte gesehen, wie der Pfähler losstürmen wollte, um den Vampir zu töten. So einfach würde es nicht gehen, das wußte ich selbst.
Ich ließ meine Hand in die Tasche gleiten, wo mein Kreuz schon bereit lag.
Das Metall hatte sich leicht erwärmt. Ich spürte auch das leichte Zucken auf der Fläche, als wären kleine Blitze in meine Haut hineingestoßen.
Auch wenn der Hexenmeister mein Feind war, so mußte ich doch zugeben, eine imponierende Gestalt vor mir zu sehen. Ein großer, ganz in Schwarz gehüllter Körper mit weißen Haaren, einem relativ dunklen Gesicht, und einem weißen Bart auf der Oberlippe. Ein zumindest ungewöhnlicher Vampir, wie ich ihn in meiner langen Laufbahn noch nicht erlebt hatte.
Auf den ersten Blick konnte man ihn für einen Schauspieler halten, einen Grand Seigneur der Bühne, dem junge und auch ältere Damen zu Füßen lagen, weil sie in ihm einen Kavalier der alten Schule sahen. Der zweite Blick belehrte mich eines Besseren. Er hatte sein Maul weit aufgerissen und präsentierte dabei seine Zähne, die so typisch für ihn waren. Sie wuchsen lang und spitz aus dem Oberkiefer, wobei sie zugleich kompakt und sehr fest aussahen. Der Hexenmeister machte keinesfalls einen ängstlichen Eindruck. Er wirkte wie ein Mensch, der genau wußte, was er wert war.
Ich starrte ihn an. Er starrte zurück. Dabei hatte ich den Eindruck, daß er seinen Auftritt genoß, auch wenn er in Marek und mir Feinde sehen mußte.
Noch war es hell genug, um alles an ihm sehen zu können. Auch die Augen. Sie sahen ungewöhnlich aus. Nicht nur dunkel in den Pupillen. Um sie herum verteilte sich ein schmutziges Weiß, durchzogen von kleinen, hellroten Blutadern.
Seine Vögel umflatterten ihn. Sie waren wie Leibwächter, wo er auf die Wölfe verzichten mußte.
»Warum greifen wir ihn nicht an?« fragte Marek keuchend. »Verdammt, das ist unsere Chance.«
»Das weiß ich, Frantisek.«
»Dann…«
»Nein, noch nicht. Warte noch. Ich will erst etwas herausfinden.«
»Was denn?«
»Ich möchte einfach mehr über ihn wissen. Ich will erfahren, ob er reden kann, außerdem will ich wissen, was damals, vor hundert Jahren, passiert ist.«
»Der will Blut, John, unser Blut! Nichts anderes.«
»Das soll er sich holen!« Marek bekam keine Antwort mehr von mir. Ich wandte mich an den Hexenmeister, schaute ihn dabei an und fragte: »Wer bist du?«
Und die Antwort kam. »Der neue Herr des Klosters. Ich bin der Blut-Abt!«
***
Beim Einstieg durch das Fenster hatte Suko die Arme vor sein Gesicht gerissen, um sich zu schützen. Es waren nicht alle Scherben in das Innere gefallen. Einige
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