1015 - Henkeraugen
Bereich niemand auf. Deshalb betrat ich die kleine Halle, winkte den drei Frauen zu, die mir folgten, und wollte etwas sagen, als die Stille gestört wurden.
Während die Tür noch zufiel, hörten wir alle das Kreischen. Wütende Laute, dumpfe Schläge.
Aber nicht hier unten.
Glenda stand mit zwei Schritten neben mir. Sie zeigte wortlos auf die Treppe.
Von oben hörten wir das Lachen.
Es klang grell, schrill und grausam. Es war das dumpfe Gelächter eines Triumphators. Zugleich mischte sich auch die Lache eines Kindes mit hinein.
»O Gott«, sagte Glenda nur.
Da war ich schon unterwegs…
***
Jane kam nicht einmal dazu, sich darüber zu wundern, wie schnell der Junge trotz der schweren Waffe plötzlich war. Die Kraft des Henkers war wie eine Triebfeder, die ihm die nötiger Power gegeben hatte und ihn vorantrieb, direkt auf Jane zu.
Eugen schwang dabei sein Beil, das eigentlich viel zu groß für ihn war, aber er beherrschte die Waffe mit einer nahezu spielerischen Leichtigkeit.
Er wollte es mit einem Schlag erledigen, deshalb hatte er das Beil in die Höhe und damit über seinen Kopf hinweg gerissen. Der Hieb sollte von oben nach unten geführt werden und dabei den Kopf und auch einen Teil des Körpers spalten.
Jane war schnell. Bevor das Beil nach unten raste, sprang sie nach rechts. Sie sah die Klinge an sich vorbeizischen. Dann prallte sie mit der Schulter gegen die Wand, wo sie keine Sekunde länger blieb und sich sofort wegdrehte, noch bevor der Junge erneut zum Schlag ausholen konnte.
Beide bewegten sich dabei schnell.
Jane war hochkonzentriert. Möglicherweise empfand sie deshalb die Zeit doppelt so lang und bekam alles sehr genau mit. Sie hörte auch das wütende Heulen des Jungen, der über seinen Fehlschlag bestimmt nicht begeistert war.
Er riß das Beil wieder hoch. Sein Mund stand offen. Er atmete nicht mehr, er keuchte. In seinem Gesicht zuckte es. Er suchte seine Gegnerin, hielt den Griff der Waffe so hart fest wie möglich und schwang wieder herum.
Jane hatte die Lage innerhalb kurzer Zeit genau abgeschätzt. Noch immer ging sie davon aus, daß dieses verdammte Gemälde die eigentliche Quelle der Gefahren war. Wenn sie es schaffte, das Bild zu zerstören, war schon viel gewonnen. Es widerstrebte ihr immer noch, den Jungen direkt anzugreifen.
Er kam ihr nach. Er schrie plötzlich. Jane schaute während ihres Laufs über die Schulter zurück. Im Moment wirkte der Junge nicht wie ein Angreifer. Dafür war Jane einfach zu weit von ihm entfernt, und für sie zählte auch nur das Bild.
Vor ihm blieb sie stehen.
Sie sah Rodney Chesterton ohne Augen und ohne Waffe. Für einen Moment fragte sie sich, ob er überhaupt noch lebte, da sich nichts an ihm bewegte.
Jane zog ihre Waffe, die hinten im Hosenbund steckte. Früher war es eine Astra-Pistole gewesen, heute verließ sie sich lieber auf die Beretta.
Sie zielte auf das Gesicht des Henkers. Eine Kugel, zwischen die Augen gesetzt, kam ihr am sichersten vor.
Es waren die Voraussetzungen geschaffen worden, um alles glattlaufen zu lassen, aber sie hatte nicht mit dem Jungen gerechnet. Er brüllte plötzlich so laut auf, daß die Detektivin erschrak und ihr Vorhaben vergaß.
Sie drehte sich.
Der Junge kam.
Er lief auf Jane zu. Er hatte das Beil über seinen Kopf gerissen, und er holte aus.
Nein! dachte Jane, das darf nicht wahr sein!
Die Klinge war unterwegs. Abermals überkam sie das Gefühl der Zeitverkürzung. Sie sah auch, wie sich die Waffe in der Luft drehte und ihre Salti schlug.
Dann der Treffer!
Die Chancen hatten fünfzig zu fünfzig gestanden. In diesem Augenblick hatte der Schutzengel tatsächlich seine Hand über die Detektivin gehalten.
Das Beil erwischte sie an der Schulter und am Ohr sowie an ihrem Kopf. Allerdings nicht mit der scharfen, sondern mit der stumpfen Seite. Der Schlag räumte in Janes Kopf auf. Innerhalb kürzester Zeit war dort alles durcheinander. Sie kam sich vor wie jemand, der nur noch einen Körper besaß. Oberhalb des Halses war alles taub geworden. Vor ihren Augen tanzten tatsächlich die berühmten Sterne, und dann wurden auch noch ihre Knie schwach.
Jane Collins konnte sich nicht mehr halten. Die Beine gaben nach.
Sie fiel dem Boden entgegen. Daß sie dabei an der Wand entlangrutschte, gab ihr auch keinen Halt, und ihre rechte Hand erfaßte eine so große Schwäche, daß es ihr nicht mehr gelang, die Pistole zu halten. Sie rutschte ihr aus den Fingern.
Jane lag auf dem Rücken. Sie hielt die
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