102 - Die Gottesanbeterin
hohe Ränge errungen hatten.
Zur Zeit gab es dreißig Maegeschira in Japan, wie Yoshi Hojo Coco und Abi Flindt erklärt hatte. Diese Maegeschira waren nach der Reihenfolge in der Rangliste numeriert. Akinosuke nahm den ersten Platz ein. Über den Maegeschira standen die Komisubi, die Sekiwage, die Ozeki und schließlich - als Meister von allen - die Yokozuna. Von diesen höheren Rängen gab es weniger als eine Handvoll.
Wenn Akinosuke siegte, würde er mindestens den Rang eines Sekiwage einnehmen. Vielleicht konnte er sich noch weiter verbessern, denn die Meisterschaften währten noch dreizehn Tage; sie liefen erst seit zwei Tagen.
Der entscheidende Kampf begann nun. Takasago der 4. und Akinosuke kletterten in den Ring, beide mit prunkvoll verzierten Mänteln angetan. Takasago trug einen goldenen Drachen auf der Brust und dem Rücken, Akinosuke einen schwarzen Kampfstier. Sie verneigten sich vor dem Publikum.
Der mit altjapanischen Hofgewändern bekleidete Ringrichter ging im Ring auf und ab, die Hände auf dein Rücken. Er hielt einen hölzernen Fächer in den Händen. Schiedsrichter in blauen Roben nahmen an den vier Seiten des Ringes Platz. Zwei Fernsehkameras waren aufgebaut, dazu eine dritte Kamera für das Video-Playback, das von den Schiedsrichtern bei besonders schwierigen Entscheidungen herangezogen wurde. Der Gyoji, der Ringrichter, war nicht die unangefochtene Autorität im Ring; die Schiedsrichter konnten ihn überstimmen.
Der Ringgehilfe, der auch noch im Ring stand, nannte nun hinter vorgehaltenem Fächer die Namen der beiden Kämpfer und ihren Rang. Ein Beifallssturm brach aus. Jeder Zuschauer jubelte seinem Favoriten zu.
Coco verstand kein Wort. Sie verstand ebensowenig Japanisch wie Abi Flindt; Yoshi Hojo mußte für sie übersetzen.
Die beiden Kämpfer erhielten nun vom Ringgehilfen den Stärkungstrunk aus einem hölzernen Wassereimer. Ihre Mäntel hatten sie abgelegt. Jetzt konnte man richtig sehen, was für Fleischkolosse sie waren. Takasago wog bestimmt hundertachtzig Kilo. Sein Gegner Akinosuke war mit hundertsechzig auch kein Waisenknabe.
Sie spuckten den Stärketrunk auf den Boden, unter einem Stück Papier hindurch, mit dem sie sich dann über die Achselhöhlen wischten. Danach verneigten sie sich voreinander, kehrten in ihre Ecken zurück, hoben die Säulenbeine bis in Kopfhöhe und stampften wuchtig damit auf.
„Was machen sie jetzt?" fragte Coco, die mit ihren beiden Begleitern in der vordersten Reihe am Ring saß.
„Sie verscheuchen die Dämonen", sagte Yoshi Hojo.
„Die sind bei dem Anblick dieser Fettberge bestimmt schon von selbst geflüchtet", meinte Coco.
Sie trug ein dunkelgrünes Kostüm, das gut zu ihren schwarzen Haaren und ihren dunkelgrünen Augen paßte. Die Japaner waren äußerst konservativ, was die Kleidung anging. Frauen in Hosen waren ebenso verpönt wie Männer in bunten Sporthemden oder Shorts. Wer so herumlief, gab sich der Lächerlichkeit preis.
Abi Flindt hatte wie Yoshi Hojo ein helles Jackett, eine dunkle Hose und ein dunkelblaues, bis zum Kragen geschlossenes Hemd angezogen. Auf den Rängen um den Ring herum drängten sich die Zuschauer ebenso auf der Tribüne, vor der die kleine Ehrentribüne direkt am Ring stand.
Coco hatte nur vereinzelt Ausländer in der Menge gesehen. Sie fragte sich, wo Dorian Hunter wohl sein mochte. Er hätte eigentlich schon im Hakone-Park angekommen sein müssen.
Als die Sumotori mit ihrer Stampferei fertig waren, nahmen sie Salz aus einem kleinen Schälchen und streuten es vor sich hin. Dann klatschten sie mit weitausholender Gebärde in die Hände.
„Was soll denn das jetzt wieder?" fragte Coco.
„Sie machen die Götter auf sich aufmerksam", sagte Abi Flindt.
Er schaute schon länger zu und wußte bereits besser Bescheid. Coco hatte sich am Morgen einen einzigen Kampf angesehen und gefunden, daß das nichts für sie war. Deshalb war sie fortgegangen, hatte Yoshi und Abi zum Mittagessen im Hotel „Hakone" getroffen und versprochen, später zum Hauptkampf wiederzukommen.
Coco war lieber am schönen Ashisee spazierengegangen und hatte sich das Hakone-Museum mit den vielen Erinnerungsstücken an die alte Hakone-Zollstation zwischen Tokio und Kyoto angesehen. Zum Hauptkampf dieses Tages war sie pünktlich erschienen.
Jetzt kauerten sich die beiden Sumotori am Ringrand nieder und fixierten sich. Es wurde still unter den Zuschauern. Der Ringgehilfe hatte sich aus dem Ring zurückgezogen. Der Ringrichter verbeugte
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