1022 - Der Lockvogel
der oberen Stufe bewußt liegen gelassen. Sie schickte ihren Strahl über die Treppe und auch noch hinein in den Keller, wo das Licht einen seichten Teppich bildete und dafür Sorge trug, daß das Grauen beleuchtet wurde…
***
Ich lag nicht mehr unter dem Auto. Ich war wieder auf die Beine gekommen und so schnell wie möglich auf die Hauswand zugelaufen.
Noch immer hatte ich die Hände nicht frei, aber ich dachte auch nicht daran, aufzugeben. Was ich unter dem Rover liegend erfahren hatte, das hatte mir gereicht. Gefesselt konnte ich Jane nicht zu Hilfe eilen und auch Kathrin sowie diesen verdammten Blutsauger nicht stellen, der im Keller seine zweite Heimat gefunden hatte.
Die Wand war deshalb wichtig, weil sie keinen glatten Putz zeigte.
Sie bestand aus unterschiedlich gemauerten Steinen, die zudem ziemlich rauh waren. Genau diesen Vorteil wollte ich ausnützen.
Ich rieb die Stricke immer wieder am vorstehenden Gestein. Es waren relativ scharfe Kanten, die in die Stricke sägen konnten, so hoffte ich.
Ich rieb wie von Sinnen und achtete nicht darauf, daß meine Haut in Mitleidenschaft gezogen wurde und Schmerzen durch meine Handgelenke zuckten.
Eisern machte ich weiter. Keuchte, fluchte leise, rieb. Spürte Blut, das an den Gelenken herabrann und seinen Weg in meine Handflächen fand.
Nicht aufgeben. Weitermachen. Keine Pause. Auch wenn es schmerzte. Ich trieb mich an, indem ich an Kathrin Dill, den Vampir und natürlich an Jane Collins dachte. So erhielt mein innerer Motor den nötigen Sprit, und ich kämpfte weiter.
Einige Fäden waren gerissen. Die Fesseln zeigten sich bereits ausgedünnt. Wieder ein Stück Hoffnung. An Aufgabe dachte ich nicht einmal im Traum. Durchziehen. Keine Verschnaufpause, auch wenn es noch so schmerzte und brannte.
Zwischendurch zerrte ich die Arme immer zur Seite. Der Bewegungsspielraum hatte sich vergrößert, und bei meiner Aktion waren wieder einige Fäden gerissen.
Es klappte. Es mußte einfach klappen. Das hier waren keine dünnen Nylonfäden, das war Band, das waren Fasern, die dünner wurden, je mehr ich an dem Gestein rieb.
Es gab noch einen Feind, und das war die Zeit. Ich konnte nur hoffen, daß Kathrin Dill lange genug im Keller blieb. Wäre sie jetzt zurückgekommen, hätte es übel für mich aussehen können, denn sie war bewaffnet, ich nicht.
Wieder der Ruck der Hände in die verschiedenen Richtungen weg.
Das Reißen der Fasern. Weitermachen. Vier-, fünfmal reiben, dann den Versuch erneut unternehmen.
Die Fesseln rissen!
Auf einmal war ich frei. Oder zumindest soweit, daß ich die verdammten Reste abschütteln konnte. Für den Moment war ich überglücklich, allerdings auch unsicher, ob ich es wirklich geschafft hatte. Erst als ich auf meine Handgelenke schaute, da wußte ich, daß dieser Horror endgültig vorbei war.
An meinen Handgelenken klebten zahlreiche dunkle Stellen, die auch jetzt noch Nachschub bekamen, da die Wunden bluteten und auch schmerzten.
Trotzdem ging es mir wunderbar. Jane konnte wieder mit mir rechnen, aber bis zu ihr war es ein langer Weg. Außerdem mußte ich verdammt vorsichtig sein.
Den Eingang des baufälligen Hauses hatte ich mit wenigen Schritten erreicht. Der Blick durch die Tür machte mich zufrieden, denn ich schaute in einen leeren, dunklen Flur.
Zu hören war von Kathrin Dill nichts. Deshalb ging ich davon aus, daß sie sich noch immer im Keller aufhielt, der natürlich auch mein Ziel war.
Zunächst mußte ich den Weg finden. Im Flur blieb ich stehen. Auf Licht mußte ich verzichten. Es hätte mich zu leicht verraten, wie auch der noch immer heftige Atem. Die Anstrengungen der Befreiung waren eben nicht so schnell zu verkraften.
Ich schob mich durch den Flur. Nur leise sein. Nicht zittern, was nicht einfach war.
Der Flur war wie ein finsterer Schlauch. Links sah ich eine Zimmertür. Sie war nicht geschlossen, und ich fragte mich, ob es dort zum Keller ging.
Wahrscheinlich nicht. Ich warf einen Blick in den Raum, das heißt, ich wollte es, aber ich hörte genau aus diesem Zimmer die Schritte und das Lachen der Polizistin.
Sie kam zurück.
Sicherlich aus dem Keller, in den sie Jane gesteckt hatte. Dort wartete auch der Blutsauger auf sie.
Und ich sah noch mehr, bevor ich mich zurückzog. Die Polizistin hielt eine unserer Berettas in der Hand. Sie wollte auf Nummer Sicher gehen, wenn sie mich suchte.
Ich stand jetzt mit dem Rücken an der Wand. Nur nicht bewegen, nur nicht atmen. Die folgenden Sekunden konnten
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