1029 - Evitas Folterkammer
dahinter verbarg. Zumindest indirekt hatte sie es zugegeben. »Haben Sie das begriffen, Sinclair?«
»In etwa schon.«
»Gut. Ich weiß genau, wer Sie sind. Wer sich mit Bloch und den Templern beschäftigt, wird an diesem Umfeld einfach nicht vorbeikommen. So sehe ich es.«
»Und Sie wollen mich erschießen?«
»Ja, ich muß es tun. Mich darf nichts und niemand von meinem Weg der Rache abhalten.«
»Wen wollen Sie rächen?«
»Das werde ich Bloch erklären, wenn wir meine Folterkammer erreicht haben. Er wird es auch begreifen. Es ist eine Logik, der man sich nicht entziehen kann.«
Ich wollte Zeit herausschinden. »Es geht um die Templer, wie?«
»Ja.«
»Aber nicht um die des Abbé?«
Evita schüttelte den Kopf, so daß ihre Mähne wild von einer Seite zur anderen flog. »Nein, nicht um die deines Freundes, Sinclair. Alles liegt tiefer und auch viel weiter zurück. Verschollen im Grab der Vergangenheit, aber nicht vergessen. Erst ich mußte geboren werden, um den Schleier zu lüften. Ich habe das Schreien der Toten gehört. Ich habe ihre Botschaft verstanden, und ich fühle mich als Rächerin der Toten. Einmal muß Schluß sein, einmal muß das Schicksal begradigt werden, damit auch andere wieder Freude am Leben empfinden können. Das mußte ich auch noch sagen.«
Ja, sie hatte es uns gesagt, aber viel mehr wußten wir auch nicht.
Ich überlegte, wie ich der Kugel entgehen konnte. Die Chancen waren verdammt gering. Ich stand im Licht und bot eine gute Zielscheibe. Evita hielt sich im Dunkeln auf. Nur der Umriß war von ihr zu sehen.
Um eine bessere Schußposition zu bekommen, ging sie ein Stück vor. Gleichzeitig sprach sie den Abbé an. »Auf die Knie mit dir! Los, knie dich hin! Verschränke die Hände im Nacken und schau auf deinen Freund. Du sollst sehen, wie er stirbt, und du sollst daran denken, daß du seinen Tod indirekt verschuldet hast. Wärst du nicht gewesen, wäre ihm nichts passiert. So aber sieht es anders aus.«
Leider zielte Evita auch weiterhin auf mich, um Bloch zu demonstrieren, daß sie abdrücken würde, wenn er nicht tat, was sie von ihm verlangte. Ich war das Druckmittel für sie, so wie Victor das Druckmittel gegen ihn war.
Der Abbé kniete sich hin, auch weil ich ihm zugenickt hatte. Ich hatte erlebt, wie er nach einem Ausweg suchte, und er hatte so ausgesehen, als stünde er dicht davor, sich trotz der auf ihn gerichteten Waffe auf die Frau zu stürzen.
Er versuchte es noch einmal. »Es muß Ihnen doch reichen, wenn Sie mich haben. John Sinclair hat mit den Dingen nichts zu tun. Glauben Sie mir doch!«
»Was ich glaube oder nicht, mußt du schon mir überlassen«, erklärte sie. Damit machte sie klar, daß sie von ihrem einmal eingeschlagenen Weg nicht abweichen würde.
»Gut!« lobte Evita den Templer und hob ihren Arm noch höher, als wollte sie auf mein Gesicht zielen. »Schießen kann ich!« erklärte sie mir. »Ich habe mich lange genug vorbereiten können und auch geübt!«
Mir war der Schweiß ausgebrochen. Es lag nicht allein an der stickigen Luft. Schuld an diesem Ausbruch trug die Todesangst, die mich überkommen hatte. In jedem Menschen steckt sie. Niemand ist davor gefeit, auch ich war es nicht.
Ich zitterte. Ich hörte meinen Herzschlag. Der Magen zog sich zusammen. Ich hätte schreien können, und ich war nicht der Kinoheld, der so eiskalt blieb.
»Na denn, Sinclair, grüßen Sie den Teufel!«
»Topar!«
Das Wort hörte ich noch. Es raste durch den unterirdischen Raum, und dann war alles anders…
***
Die Gestalt des Mannes raste von der Tür her quer durch die Halle.
Sie lief schnell, auch leichtfüßig. Es sah so aus, als würde sie mit jedem Tritt auf die Unterlage eines Trampolins springen, um sich weiter abstoßen zu können.
Der Mann war Suko. Ihm standen genau fünf Sekunden zur Verfügung, um die Lage zu klären. Alle, die seinen Ruf gehört hatten, waren auf der Stelle eingefroren und nicht mehr bewegungsfähig. Bis eben auf die eine, berühmte Ausnahme.
Suko war schnell. Er mußte es auch sein, denn der Weg war verdammt weit. Er zählte die vergehenden Sekunden nicht, als er sich auf dem Weg befand. Er wollte nur um alles in der Welt seinen Freund John Sinclair vor dem Tod durch eine Kugel bewahren und auch den Templer-Führer retten.
Evita stand da wie eine Statue. Nichts an ihr bewegte sich mehr.
Sie zitterte nicht einmal. Die Waffe selbst schien in ihrer Hand festgefroren zu sein.
Vor den letzten beiden Schritten stieß Suko sich
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