1029 - Evitas Folterkammer
ab. Er wußte sich nicht anders zu helfen. Zudem wollte er noch schneller sein. Mit beiden Füßen vorgestreckt flog er durch die Luft, und er rammte die Frau in dem Augenblick, als die Zeitspanne vorbei war.
Evita flog zur Seite, aber sie drückte trotzdem ab. Es war ein Reflex, der ihren Finger krümmte. Der Schuß hallte durch die Garage und war begleitet von einem wilden Fluch, bevor die Frau zu Boden prallte…
***
Auch ich hatte den Schuß gehört. Für genau fünf Sekunden war ich außer Gefecht gesetzt worden. Ich kannte mich inzwischen darin aus, ich wußte, daß die Zeit für den Träger des Stabs weiterlief, aber nicht für mich. Die Aktionen würden genau so weiterlaufen, wie sie geendet hatten, als der Ruf aufgeklungen war. Auch meine Erinnerung war sofort wieder da.
Für den Bruchteil einer Sekunde rechnete ich damit, daß die Kugel in mein Gesicht schlagen würde, dann sah ich, was tatsächlich geschehen war. Es war Evita zwar noch gelungen, abzudrücken, aber sie hatte mich nicht getroffen.
Suko war als Rammbock gegen sie geschlagen und hatte sie zu Boden gerissen. Das Geschoß war irgendwohin geflogen, nur nicht in meinen Körper, und auch der Abbé war unverletzt geblieben.
Evita wälzte sich über den Boden. Sie schrie dabei, aber sie war nicht allein. Suko hatte sich auf sie geworfen. Er hinderte sie daran, noch weiter zu rollen. Er hatte es geschafft, ihr rechtes Handgelenk zu umklammern. Er riß den Arm in die Höhe und drehte ihn dabei wuchtig herum.
Ein greller Schmerzschrei schrillte durch die Tiefgarage. Suko hatte dieser Frau weh getan, aber der Erfolg heiligte in diesem Fall die Mittel.
Ihre Waffe besaß er jetzt. Sie lag auf dem Bauch, den rechten Arm in Sukos Klammergriff und in die Höhe gezerrt. Zugleich spürte sie den Druck der Mündung an ihrem Nacken.
»Wenn Sie sich bewegen, sind Sie tot!« erklärte Suko.
Evita heulte auf. Sie mußte einsehen, daß sie nicht mehr gewinnen konnte, aber sie wollte es auch nicht fassen. Sie hatte alles in ihren Plan hineingesteckt und stand nun vor dem Nichts. Ihr war klargeworden, daß es keinen Ausweg mehr gab.
Auch der Abbé erhob sich wieder. Er mußte sich dabei abstützen, nickte mir zu und lächelte verbissen. Ich ging zu Suko und seiner Gefangenen. Die Handschellen hielt ich bereits sichtbar fest. Wenig später umschlangen sie die Gelenke der Frau.
Die Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Evita lag noch immer auf dem Bauch, den Kopf etwas angehoben, damit das Gesicht nicht den schmutzigen Boden berührte. Den Mund hatte sie verzerrt. Sie atmete wild und heftig und strampelte, als ich sie auf die Beine zog und Suko dabei dankbar nickte.
Ich stieß die Frau zurück, bis sie gegen die Schnauze eines alten Ford Transits prallte. Dort hielt ich sie fest. Ich hatte Mühe, mich zu beherrschen und meiner Wut nicht freien Lauf zu lassen. Am liebsten hätte ich ihr ins Gesicht geschlagen, wenn ich daran dachte, daß sie mich hatte töten wollen.
Aber ich beherrschte mich, auch wenn es mir schwerfiel. Statt dessen schüttelte ich den Kopf. »Man muß immer damit rechnen, daß es auch in einem Todesspiel einen Joker gibt, Evita.«
»Ja«, gab sie zu. »Ich habe den Chinesen tatsächlich vergessen gehabt. Ein Fehler.«
»Man kann nicht perfekt sein, Evita.«
Ihren Atem hatte die Frau wieder unter Kontrolle bekommen. Sie keuchte mich nicht mehr an. Jetzt kniff sie die Augen zusammen.
Dabei bekam ihr Gesicht einen lauernden Ausdruck. »Wenn Sie meinen, gewonnen zu haben, dann irren Sie sich. Das Spiel geht weiter, auch wenn die Bedingungen jetzt andere sind.«
»Stimmt. Das hätte direkt von mir sein können. Es geht auch weiter, aber wir diktieren das Geschehen.«
»Victor wird sterben!«
Den Satz hatte auch der Abbé gehört. Ihn hielt nichts mehr im Hintergrund, er kam jetzt auf uns zu und blieb neben mir stehen.
Auch der Templer litt unter seinen Emotionen. Er hatte Mühe, sich zurückzuhalten, doch ein weiser Mensch wie er verlor nicht die Beherrschung. »Sie haben den Namen Victor ausgesprochen«, flüsterte er, »und ich denke auch an das Ohr, das Sie mir geschickt haben, und an die Fotos. Sie haben mich hinführen wollen, Evita. Gut, ich komme gern mit, aber wir sind nicht mehr zu zweit. Meine Freunde werden uns begleiten, und Sie werden uns Victor zeigen.«
»Meinst du?«
»Bestimmt. Sie wollen doch Ihre Rache vollenden. Oder etwa nicht?«
»Nicht unter diesen Bedingungen.«
Bloch schaute mich an. »Was meinst du dazu,
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