1029 - Evitas Folterkammer
sicherlich schaffen.
Die Kettenglieder klirrten, als er sich bewegte und seine Hände so nah an die beiden Dosen heranbrachte, daß er sie greifen konnte.
Leicht fiel es ihm nicht, denn beim ersten Zufassen schon rutschte ihm die Dose ab und kippte um.
Er faßte wieder nach und war froh, sie aufstellen zu können. Beim zweiten Versuch ging er behutsamer vor. Diesmal konnte er die Dose festhalten.
In ihm erwachte die Gier. Victor hörte sich keuchen. Der Durst war unbeschreiblich. Auf der Zunge spürte er auch den Geschmack seines eigenen Blutes.
Steife Finger zerrten an der Lasche. Es klappte nicht gleich beim ersten Versuch, und Victor heulte auf. Über den Laut erschrak er selbst. Er hätte mehr zu einem Tier gepaßt, als zu einem Menschen.
Wer lange dahinvegetierte, der wurde wohl zu einem Tier und verlor das Menschliche.
Er schaffte es.
Der zischende Laut ging in seinem krächzenden Jubelschrei unter.
In die Augen trat für einen Moment der Glanz eines wilden Triumphs. Victor erfreute sich an dieser Kleinigkeit. Mit beiden Händen umfaßte er die leicht feuchte Dose und betete, daß sie ihm nicht aus den Fingern rutschte. Er mußte sie halten, hochbringen, an die Lippen setzen, kippen und dann trinken, nur trinken.
Das Schicksal meinte es diesmal gut mit ihm. Er schaffte es. Das Blech der Dose lag auf seiner Unterlippe, dann rann der erste Strahl in seinen Mund und erfrischte ihn.
Victor trank!
Er ließ nicht locker. Er hielt die Augen geschlossen, um sich einzig und allein auf diesen Vorgang zu konzentrieren. Es war so etwas Wunderbares und Erfrischendes. Während er das Wasser schluckte, entstanden Bilder vor seinen Augen.
Er sah einen Menschen in der Wüste sitzen. Halb verdurstet, beinahe so ausgetrocknet wie der Boden. Nach Wasser lechzen und gieren, und dann diese herrliche Flüssigkeit, die nicht nur seinen Mund, den Rachen und das Innere erfrischte, sondern aus ihm auch einen anderen Menschen machte.
So erging es ihm. Victor konnte die Dose einfach nicht absetzen. Es war zudem ein Wasser ohne viel Kohlensäure, so daß er die Dose mit einem langen Schluck leeren konnte, ohne sie zwischendurch absetzen zu müssen. Sogar die Schmerzen waren in diesen langen Momenten vergessen, und er schlürfte die Dose bis auf den letzten Tropfen leer, bevor sie ihm aus den Händen rutschte und zu Boden fiel.
Der Gefangene keuchte. Er hatte seinen Kopf dabei nach vorn gedrückt. Speicheltropfen sickerten aus dem Mund und tropften zu Boden. Er hörte sich wild atmen, und die Umgebung verschwamm vor seinen Augen zu einer wahren Soße. Das Feuer der Fackel war inzwischen noch weiter niedergebrannt. Der Schein huschte nur noch flach über den Boden hinweg, als wollte er in ihn eintauchen.
Aber die Schmerzen kehrten zurück. Das Brennen ließ sich nicht vermeiden. Der Verband hatte daran so gut wie nichts ändern können. Auch fürchtete sich der Mann vor einer Infektion, doch das war zweitrangig geworden. Er dachte lieber an seine Zukunft, die für ihn so gut wie nicht mehr vorhanden war. Wäre er Spötter gewesen, so hätte er behauptet, die Zukunft hinter sich zu haben.
Sollte es trotzdem eine für ihn geben, dann lag sie nicht in seiner Hand, sondern in den Händen des alten Freundes Bloch. Um ihn ging es im Prinzip. Nur er würde ihn von der Qual befreien können, das hatte ihm dieses verdammte Weib sehr deutlich erklärt.
Aber würde der Abbé ihr auch glauben? Es war schwer, dies zu bestätigen, wären da nicht die Fotos geschossen worden. Perfekte Beweismittel, die den Abbé einfach überzeugen mußten, auch wenn sich die beiden Männer über lange Jahre nicht mehr gesehen hatten.
Doch daran konnte niemand vorbeigehen.
Doch wie lange würde es dauern, bis der Abbé eintraf? Wo konnte man ihn finden?
Victor wußte, daß er sich mit seinen Getreuen nach Südfrankreich zurückgezogen hatte, in die Nähe der ehemaligen Templer-Hochburgen. Aber Frankreich war weit entfernt und auch nicht so einfach mit einem Flugzeug zu erreichen.
Die Zeit der Schmerzen und der inneren Qualen würde andauern.
Stunde um Stunde, vielleicht Tag um Tag.
Eine zuckende Bewegung irritierte den Gefangenen. Er hatte zuerst an ein Tier gedacht, das plötzlich erschienen war, doch keine Ratte ließ sich blicken.
Die Bewegung war einzig und allein auf das Feuer zurückzuführen, das schon ziemlich weit heruntergebrannt war und jetzt mit dem letzten Flecken über den Boden hinweghuschte, wobei es flach wie ein Teppich
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