1029 - Evitas Folterkammer
John?«
»Es ist ganz simpel«, erklärte ich. »Sie kann es sich aussuchen. Entweder in einer Zelle schmoren, wegen Mordversuchs an einem Polizeibeamten oder in gewisser Weise mit uns zusammenarbeiten, damit das Rätsel geklärt wird. Wer immer auch hinter ihr stecken mag, ich glaube nicht daran, daß er glücklich gewesen wäre, diese Rächerin hinter Gittern zu sehen.«
Unsere Ausführungen hatten ihr nicht gefallen, das sahen wir dem Gesicht an. Es wirkte verschlossen, abwehrbereit. In den Augen strahlte der blanke Haß. Es war noch nicht klar, wie sie sich entschieden hatte, und wir hörten sie auch stöhnen.
»Viel Zeit haben Sie nicht«, sagte ich.
Evita, die ihre Augen fast geschlossen hatte und zu Boden schaute, hob mit einem Ruck den Kopf an. Sie streckte uns ihr Kinn entgegen, dann nickte sie. »Ja«, erklärte sie. »Wenn jemand in sein Verderben laufen will, soll er es tun.«
»Darf ich fragen, von wem Sie sprechen?«
»Von euch.«
»Gut, wenn Sie es so sehen, wir sind bereit. Wo, also, finden wir Victor und Ihre Folterkammer?«
»Nicht hier, nicht in London.«
»Das hatten wir uns gedacht.«
»Wir müssen fahren. Es ist eine alte Burg. Ziemlich vergessen, bewußt vergessen.«
»Weshalb?«
In den folgenden Sekunden sagte sie nichts. Dann lachte sie schrill auf. »Weshalb vergessen?« wiederholte sie höhnisch. »Das will ich euch gern sagen. Es ist die Angst der Menschen, die sie vergessen hat, denn alle, die diese Burg kennen, fürchten sich vor der Rache der Toten. Ja, vor der Rache der Toten, und auch ihr werdet ihr nicht entkommen, das schwöre ich…«
***
Das linke Ohr fehlte, und der gesamte Kopf stand scheinbar in Flammen. Bruder Victor wußte nicht, welche Schmerzen ein Mensch aushalten konnte, bei ihm allerdings war die Grenze erreicht, und er konnte sich daran erinnern, daß eine Zeit hinter ihm lag, in der er nur geschrien hatte. Einfach geschrien, bis zur Bewußtlosigkeit, die gnädig über ihn gekommen war.
Der Mönch war zusammengebrochen, aber nicht richtig zu Boden gefallen, da ihn die Ketten noch hielten. So war er in einer hängenden Stellung gehalten worden.
Die Schmerzen hatten bei ihm für eine tiefe Bewußtlosigkeit gesorgt, aber sie rissen ihn auch wieder daraus hervor und sorgten für die schreckliche Erinnerung.
Der Mönch richtete sich mühsam auf. Das linke Ohr fehlte. Statt dessen klebte dort ein durchgebluteter Verband, den diese Evita ihm angelegt hatte.
Es pochte, es tuckerte, es biß. Blut war auch unter dem Verband hergelaufen und hatte sich als Streifen auf seinem Hals abgesetzt, wo es bereits getrocknet war.
Die Umgebung war die gleiche geblieben, und trotzdem hatte sie sich verändert. Victor stand nicht mehr in dieser wattigen Schwärze.
Nach ihrem letzten Besuch hatte ihm die Frau eine Fackel zurückgelassen, deren Pech allerdings schon ziemlich weit abgebrannt war.
Die Fackel gab nur mehr wenig Helligkeit. Es war auch ein schmutziges Licht, das von ihr abstrahlte. Deren dunkler Widerschein führte im Innern der Folterkammer einen geisterhaften Tanz auf. Er huschte über den Boden, ohne allerdings die Wände zu erreichen, bewegte sich aber in seiner Nähe, sonderte diesen widerlichen Geruch ab, den auch Victor wahrnahm, ihn jedoch nicht verdammte.
Das Licht brachte auch etwas Positives. Er konnte die Veränderung in seiner Greifweite sehen. Evita hatte ihm zwei Dosen mit Wasser hinterlassen. Sie standen so günstig, daß er sie selbst mit seinen gefesselten Händen erreichen konnte, wenn er in seiner knienden Stellung blieb.
Sein Kopf wurde noch immer umtost von diesen irrsinnigen Schmerzen. Er dachte an einen berühmten Maler, der sich ein Ohr abgeschnitten hatte. Aber er hatte es selbst getan, bei ihm, Victor, war das nicht der Fall gewesen.
Eine Frau war es gewesen. Eine Frau, die Evita hieß und vom Haß getrieben wurde.
Damit kam Victor nicht zurecht. Er hatte dieser Person nichts getan. Darum allerdings ging es ihr auch nicht. Die Gründe lagen in der Vergangenheit vergraben, über die Victor leider nicht Bescheid wußte.
Ob sie mit ihm zusammenhingen oder mit dem Orden, dem er angehörte, wer konnte das schon sagen? Er nicht. Und er wußte auch nicht, wie es weiterging. Hin und wieder wunderte er sich nur darüber, daß er noch lebte.
Victor dachte an seine Grundbedürfnisse. Dabei konzentrierte er sich auf die beiden Büchsen mit dem Wasser. Evita hatte sie noch nicht geöffnet. Er mußte noch die Laschen aufreißen, das würde er
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