1029 - Evitas Folterkammer
man uns angetan hat. Erst dann wird uns der Meister verzeihen und in sein Reich aufnehmen.«
»Wir warten…«
»Ja, wir warten…«
Die nahen Stimmen um Victor herum verstummten, und der Gefangene brauchte zunächst eine Weile, um damit überhaupt zurechtzukommen. Jetzt kam ihm die Stille so fremd vor. Zugleich auch leer. Nur wußte er, daß sich die anderen nicht in ihre Reiche zurückgezogen hatten. Sie waren noch da und warteten auf einen nächsten Kontakt, der für sie günstiger sein würde.
Einige ihrer Aussagen hatte sich Victor merken können. Angestrengt versuchte er, sich genau daran zu erinnern, um daraus seine Schlüsse ziehen zu können.
Mit einem Begriff beschäftigte er sich besonders.
Das Wort »Rächerin« war gefallen!
Damit konnte nur diese Evita gemeint sein. Diese Folterfrau war also als Rächerin der Toten ausgesucht worden.
Und ein weiterer Begriff wollte ihm nicht aus dem Kopf – Baphomet. Im ersten Moment hatte er damit nicht viel anfangen können.
Victor mußte auch weit, sehr weit zurückdenken, um damit zumindest einigermaßen zurechtzukommen.
Damals hatte er sich mit dem Abbé getroffen gehabt. Sie hatten über vieles gesprochen. Am intensivsten allerdings über den Templer-Orden und seinen Ruf in der Historie.
Bloch hatte nicht abgestritten, daß es zu ungeheuerlichen Auswüchsen gekommen war, und er hatte sich auch nicht gescheut, den Begriff Polarisierung zu verwenden.
Der Orden, der einmal so fest zusammengefügt gewesen war, hatte sich geteilt. Eine Seite hatte auch weiterhin den rechten Weg beschritten, aber die andere Hälfte war den Lockungen eines Dämons namens Baphomet erlegen.
Auch hier war der Name Baphomet gefallen. Die Geister hatten ihn ausgesprochen, und es hatte sich nicht so angehört, als stünden sie ihm fremd gegenüber.
»Nein«, flüsterte der Gefangene, der die Stille nicht mehr aushalten konnte und seine eigene Stimme hören wollte. »Es sind die Geister dieser alten Teufelsdiener gewesen. Man hat sie nicht töten können. Auch wenn ihre Leiber durch die Folter vernichtet und zerstückelt worden waren, die Seelen gab es nach wie vor.«
Allmählich klärte sich das Bild des Gefangenen. Er wußte nicht hundertprozentig Bescheid, doch er sah seine Gefangennahme auch nicht als ein Versehen an.
Es steckte eine Methode dahinter. Sie würde letztendlich in einer furchtbaren Rache enden…
***
Beinahe entspannt saß Evita auf dem Rücksitz. Von Suko gut bewacht, was eigentlich kaum nötig war, denn sie wirkte nicht wie jemand, der plötzlich angreifen will. Sogar die Augen hielt sie halb geschlossen und gab sich auf eine gewisse Art und Weise desinteressiert. Das hatte ich einige Male durch Blicke in den Innenspiegel feststellen können.
Das Ziel hatte sie uns mitgeteilt, mehr allerdings nicht. Alles weitere würde sich ergeben, wie sie meinte, und wir hatten nichts getan, um dagegen zu sprechen. Viel kam in diesem Fall auf Evita an, deshalb wollten wir ihr auch das Gefühl geben, gebraucht zu werden.
Sie sollte sich nicht unbedingt als Gefangene fühlen, denn nur sie konnte uns zum Ziel führen.
Allerdings sprach sie nicht. Evita saß einfach nur da. Manchmal lächelte sie sogar. Da hatte sie ihre Gedanken wohl auf Wanderschaft geschickt. So wie sie sah eine Frau aus, die sich trotz einer Niederlage recht wohl fühlte.
Dem war auch so.
Die Geister hatten Kontakt mit ihr aufgenommen. Sie war deren Werkzeug und Rächerin. Evita hörte die seltsamen Flüsterstimmen in ihrem Kopf. Immer wieder wurde ihr bestätigt, daß sie sich auf dem richtigen Weg befand und keinen Schritt davon abgehen sollte.
Alles würde sich in ihrem Sinne richten.
Das veranlaßte sie wieder zu einem Lächeln. Ich bekam es mit, denn gerade in diesem Augenblick hatte ich wieder einen Blick in den Innenspiegel geworfen.
Dieses Lächeln irritierte mich. Überhaupt kam ich mit dieser Person nicht zurecht. Sie hatte einen Menschen gefoltert. Sie hatte ihn gefangengehalten, und sie hatte ihm sogar ein Ohr abgeschnitten.
Wer sie so ansah und nicht näher kannte, traute ihr so etwas nicht zu. Zumindest ich hatte da meine Schwierigkeiten. Doch keiner kann hinter die Stirn eines Menschen schauen. Diese Erfahrung hatte ich oft genug machen müssen, auch bei Evita verhielt es sich nicht anders.
Wir hatten London in Richtung Westen verlassen. Der Flughafen lag hinter uns, und die Fahrt ging auf Windsor zu. Allerdings glaubten wir nicht daran, daß dieses Schloß unser Ziel war und
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