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103 - Panoptikum der Geister

103 - Panoptikum der Geister

Titel: 103 - Panoptikum der Geister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larry Brent
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Hunter regierte das Grauen. Betsy King schrie, als ihr Gesicht dem des
Toten nahe kam. Blitzartig schnellte sie wieder in die Höhe. Kalter Schweiß
rann von ihrer Stirn. Die Reporterin zitterte am ganzen Körper, als hätte sie
Schüttelfrost, und ihr Herz pochte wie irrsinnig, als würde es die Brust
sprengen. Betsy King verstand die Welt nicht mehr. Hunter war tot, wer war dann
der andere? Zu sehr wurden ihre Sinne beschäftigt, zu sehr steckte das Grauen
ihr in den Knochen, als dass sie in diesem Moment zu einem klaren Gedanken
fähig gewesen wäre. Nichts wie raus hier! Nur daran konnte sie noch denken. In
diesem düsteren Gebäude spukte es ...
    Nicht mehr
Menschen bestimmten die Gesetze, sondern Wachspuppen. Betsy King wusste nicht,
woher sie die Kraft zum Aufstand und zur Flucht nahm. Mit wildem Schrei warf
sie sich nach vom, dem Reverend entgegen, der als Erster mit gefühllosem,
eingefrorenem Lächeln durch die Tür der Ersatzteil-Kammer trat. Die Reporterin
prallte gegen den Ankömmling. Sie gebärdete sich wie toll. Rücksichtslos
krallte sie ihre spitzen Fingernägel in das Gesicht ihres Gegenübers. Dieser
gab nicht mal einen Schmerzlaut von sich. Die Fingernägel ritzten tief das
kalte Fleisch. Fleisch? Nein, das war keine Haut! Die Masse gab nach, ließ sich
abschälen und blieb unter Betsy Kings Nägeln haften. Die Frau setzte ihre ganze
Körperkraft ein. In Verzweiflung und Todesangst mobilisierte sie Kräfte, die
sie nie für möglich gehalten hätte. Sie warf Terry Whitsome zur Seite, tauchte
unter seinen zupackenden Händen weg, riss geistesgegenwärtig einen wächsernen
Arm aus dem Metallgestell neben sich und benutzte diesen als Schlagwaffe. Wachs
knallte auf Wachs. Terry Whitsome, der siebenundvierzigfache Frauenmörder aus
dem Londoner West End, erhielt einen Hieb mitten über das Gesicht. Stirn und
Augenbrauen rissen auf, und von der Nase brach ein Stück ab. Frisches, heller
wirkendes Wachs kam zum Vorschein. Keine Verletzung, keine Spur von Blut! Betsy
King schaffte es, aus der Kammer, in die sie irrtümlicherweise geflohen war,
wieder herauszukommen. Aus dem Halbdunkeln des Gewölbes, in das sie von dem
falschen George Hunter geführt worden war, eilten Gestalten auf sie zu. Die
Figuren aus der Horror-Kammer! Die Wahnsinnigen und Mörder. Dolche und Stilette
blitzten in der Dunkelheit auf. Dies alles nahm Betsy King nur noch wie im
Traum war. Schweißgebadet schlug sie um sich und stieß eine Wachsfigur, die
sich nicht bewegte, vom Sockel, um zwischen sich und den nachdrängenden
Verfolgern ein Hindernis zu errichten. Dumpf schlug die Gestalt zu Boden. Der
Hinterkopf wurde plattgedrückt, und die Figur verlor einen Arm. Betsy King nahm
sich keine Zeit, Details aufzunehmen. Sie handelte wie in Trance, und sie tat
genau das Richtige. Sie erreichte die schmale, gewendelte Steintreppe. Keuchend
rannte sie nach oben. Der Korridor war nur schwach beleuchtet. Bizarr und
riesig wurde ihr eigener Schatten an die raue Kellerwand gegenüber geworfen.
Noch bizarrer und gewaltiger wirkten die Silhouetten ihrer Verfolger, die
hinter ihr her stürmten. Die Fliehende schaffte es, den Keller hinter sich zu
bringen. Aber noch war sie nicht an der Haustür. Dies unheimliche Gebäude mit
den verschachtelten Korridoren und zahlreichen Räumen und Kammern war wie ein
Labyrinth, in dem man sich leicht verirren konnte. Weitere Kammern und kleine
Räume mit Gewölbedecken lagen vor ihr. Und in ihnen standen neue Wachsfiguren.
Die Großen der Welt...
    Einstein ...
Alexander, der Große ... Napoleon ... Beethoven ... Goethe ... Odysseus ...
Realität und Mythos kamen auch hier wieder zusammen. George Hunter schien
irgendwann in seinem Leben nicht mehr fähig gewesen zu sein, zwischen Traum und
Wirklichkeit zu unterscheiden. Sein Leben war selbst eingelagert zwischen Traum
und Wirklichkeit. Hunter war entweder wahnsinnig oder eine Bestie ... Ein
Mensch, der Irrsinnige und Mörder nachbildete und ihnen teuflisches Leben
verlieh, war nicht mehr mit normalen Maßstäben zu messen. Betsy King rannte
ohne zu denken. Sie fürchtete, das ihre Flucht durch
die vor ihr liegenden Kammern und Räume ebenfalls zu einem Spießrutenlauf
würde. Die Gestalten im Halbdunkeln schienen auf sie zu lauem. Aber sie
bewegten sich nicht. Sie waren starr und steif, und nur jene sechs furchtbaren
Gestalten in der Tiefe musste sie offensichtlich fürchten. Bei ihrer Entstehung
musste der Teufel persönlich seine Hand im Spiel gehabt haben.

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