103 - Panoptikum der Geister
den Atem an, als er im Schritttempo an der Einmündung entlang
rollte, wo vorhin die Unheimlichen aus dem Panoptikum lauerten. Alles war ruhig
und weit und breit nichts zu sehen. Kelly fuhr runde fünfhundert Meter weiter.
In der Dunkelheit war der beige Morris der Reporterin abgestellt. Kelly machte
den Vorschlag, ihn abzuschleppen und nach High Wycombe mitzunehmen. Als er
merkte, dass Betsy noch immer der Schrecken in den Gliedern saß und sie sich
nicht recht traute, das Auto zu verlassen, ergriff er selbst die Initiative. Er
koppelte das Abschleppseil an und forderte die Reporterin auf, seinen Wagen zu
steuern. Bis nach High Wycombe waren es nur drei Meilen. Betsy King fuhr den
schweren Pontiac. Der hatte das Lenkrad auf der linken Seite, und das war
ungewohnt für sie.
Ohne
Zwischenfälle kamen sie in High Wycombe an. Auf Anhieb fanden sie auch ein
kleines, einladend und gemütlich aussehendes Restaurant, das den Namen Barnies
Shed trug. Ursprünglich war das Lokal früher eine Scheune gewesen, die weiter
ausgebaut worden war. Sie war einstöckig. Unten waren viele kleine Räume und
Nischen untergebracht. Die Scheune war riesig, und doch war durch die
geschickte Unterteilung dafür gesorgt, dass die Besucher das Gefühl hatten,
jeder mit Freunden und Gästen unter sich zu sein. Im oberen Stockwerk lagen die
Gästezimmer. Betsy King und Leonhard M. Kelly aßen noch eine Kleinigkeit,
tranken etwas und besprachen dabei in allen Einzelheiten das Erlebnis in George
Hunters Haus. Der Reporterin tat es wohl, über ihr unheimlichstes Erlebnis zu
berichten, und langsam gewann sie Abstand von den Dingen. Als sie kurz vor
Mitternacht ihr Zimmer aufsuchte, fühlte sie sich seltsam leicht und
beschwingt. Das machte wohl der Alkohol. Ihr kam alles weit entfernt und unwirklich
vor, dass sie nun selbst daran zu zweifeln begann, ob sie tatsächlich alles
erlebt hatte oder nicht. Der genossene Alkohol machte aber ihre Glieder schwer,
und sie fiel bald in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
●
Die von Paris
kommende Maschine landete am frühen Morgen in London auf dem Heathrow Airport.
Unter den hundertachtundsiebzig Passagieren, die den Airbus verließen, befand
sich auch ein großer blonder Mann, der mit schnellen Schritten durch die
Abfertigungshalle lief, um so schnell wie möglich sein Gepäck zu ergattern, das
von den Förderbändern herangetragen wurde. Larry Brent alias X-RAY-3 trug ein
Bordcase bei sich. Dazu passten der dunkelbraune große Koffer und die
Reisetasche, die auf dem sich drehenden Band transportiert wurden. Larry hatte
einen Auftrag, den er in Frankreich ausfuhren sollte, an einen Kollegen, den
französischen PSA- Agenten Charles de Mere, weitergegeben. X-RAY-1 in New York
hielt es in Anbetracht der besonderen Umstände, die Morna Ulbrandson
geschildert hatte, für unerlässlich, dass Brent die Schwedin unterstützte. Wenn
irgendwo ein Crowden mit seinen Mordaugen auftauchte oder wenn der Geflügelte
Tod sich erneut zeigte, half nur ein Gegenmittel: das Zehrende Feuer.
Am Ausgang
wurde Larry Brent bereits erwartet. Sein alter Freund Edward Higgins hatte es
sich nicht nehmen lassen, ihn abzuholen. Larry nickte schon von weitem dem
Chief-Inspector von Scotland Yard lachend zu. Higgins beantwortete das Lachen
nur flüchtig. „Nanu, Edward?“, sagte X-RAY-3, als er heran war. „Gab’s heute
Morgen Ärger mit den Frühstückseiern? Sind sie zu hart ausgefallen?“
„Morna ist
verschwunden“, antwortete Higgins nach kurzer, herzlicher Begrüßung.
Larrys Miene
versteinerte sich. „Wie ist das passiert? Was wissen Sie darüber, Edward?“
„Im Prinzip
ne Menge ... und doch so gut wie gar nichts, obwohl der Vorfall von einem
meiner Mitarbeiter, Sergeant Richard Kilby, in allen Einzelheiten beobachtet
werden konnte.“
Auf dem Weg
zu Higgins’ Fahrzeug, das in unmittelbarer Nähe des Ausgangs abgestellt war,
berichtete der Chief-Inspector alles, was Kilby in der vergangenen Nacht noch
in höchster Erregung mitgeteilt hatte. „Wir fahren sofort hin“, sagte Larry
knapp, verstaute sein Gepäck im Kofferraum und nahm auf dem Beifahrersitz
Platz.
Higgins
klemmte sich hinters Lenkrad und öffnete die Klappe des Handschuhfachs. „Ich
habe mir das gleich gedacht, Larry, und deshalb vorgesorgt. Da ich nicht weiß,
wie zufrieden Sie mit dem Frühstück im Flugzeug waren, habe ich Ihnen etwas
mitgebracht... Schinkentoast, Eier und ne Kanne starken Kaffee. Die
Thermosflasche steht in der Seitentasche
Weitere Kostenlose Bücher