103 - Panoptikum der Geister
King
wirkte verunsichert und ärgerte sich darüber. „Ich habe allerdings eine etwas
delikate Frage: Sind Sie wirklich der Filmproduzent Leonhard M. Kelly?“
„Für wen
halten Sie mich sonst, Miss King?“
„Ich kann mir
denken, dass Sie meine Frage merkwürdig finden ... Sie werden anders darüber
denken, wenn ich Ihnen sage, dass ich gestern Abend mit einem Mann hierher
gefahren bin, der von sich behauptet hat, Leonhard M. Kelly zu sein ...“
Der Mann an
der Seite des echten Kelly, der freimütig seinen Ausweis zückte und ihn der
Reporterin hinstreckte, lachte hell auf.
„Ich kann
Ihnen bestätigen, dass der echte Kelly bei uns hier am Tisch sitzt. Sie sind
einem Betrüger aufgesessen, Madame.“
Der Regisseur
wollte Näheres wissen, hielt das Ganze für einen Ulk und amüsierte sich
köstlich. Betsy King fand es weniger lustig. „Ich sehe in dem Ganzen keinen
Sinn ...“
„Da wollte
sich einer interessant machen“, grinste Kelly von einem Ohr zum anderen.
„Solche Typen gibt es. Er hat das Spiel in Hunters Panoptikum mitgemacht.“
„Das war kein
Spiel!“
„Ich denke
doch. Wir hatten gestern Abend ursprünglich vor, uns die Ausstellung anzusehen.
Sie soll einmalig sein, habe ich gehört.“
„Ja, das ist
sie.“
„Ein Teil von
Hunters Wachsfiguren soll in meinem neuen Film mit großer Wahrscheinlichkeit
eine Rolle übernehmen, dessen Handlung in einem alten Castle spielt: Ein junges
Paar, dargestellt von Miriam Brent und Oliver Reece, wird von einem sterbenden
Onkel auf dessen Schloss bestellt. Die beiden glauben, dass es um eine große
Erbschaft geht, und brechen umgehend auf. Der Onkel hat in Wirklichkeit einen
furchtbaren Plan mit ihnen vor. Er hat seine Seele dem Teufel verschrieben und
braucht mindestens zwei Opfer, um diese auszulösen und weiterzuleben. Das Paar
wird im Castle gefangen gehalten und von den unheimlichen Gestalten, die der
Sterbende im Lauf von vier Jahrzehnten aus Wachs gestaltet hat, verfolgt. Die
Wächsernen sind zum Leben erwacht; Es kommt heraus, dass viele Besucher in den
letzten Jahren auf dem Castle verschwanden, dass sie ihr Leben und ihre Seele
verloren. Die Seelen wirken von nun an in den Wachsfiguren, sind darin gefangen
und bösartig, denn sie kennen keine Emotionen mehr. Das ist in groben Zügen die
Handlung eines Gruselthrillers, den wir zurzeit in den Pinewood-Studios abdrehen.
Produktionen sind teuer. Hunters Panoptikum kann, wenn wir es für zwei oder
drei Drehtage benutzen können, die Kosten senken. Ich war gestern Abend dort
angemeldet. Aber dann ist mir etwas dazwischen gekommen, und ich konnte den
Termin nicht wahrnehmen. Ich bin bei der Motivsuche auf der anderen Seite der
Chiltem Hills hängen geblieben, und wir haben die Nacht in einem Dorfgasthaus
verbracht. Dort sind wir ohne Frühstück losgefahren, um hier in Barnie’s Shed,
wo es weit und breit im Umkreis das beste Frühstück geben soll, einzukehren.
Wir wollen zu George Hunter weiter. Sein Haus liegt auf der Strecke Richtung
London.“
Betsy Kings
Gedanken drehten sich im Kreis. Wer war der Mann, der sie hierher begleitete,
von dem der Rezeptionist behauptete, er halte sich nicht im Hotel auf? War
alles, was sie gestern Abend erlebte, eine Halluzination, nur ein Traum
gewesen? Sie lief auf den Parkplatz. Dort stand ihr unbenutzbarer Morris.
Unwillkürlich hielt sie Ausschau nach dem beigefarbenen Pontiac, mit dem der
Mann mit dem Kinnbart sie abgeschleppt hatte. Das Auto war nirgends zu sehen.
An der Rezeption bat sie danach, kurz einen Blick ins Gästebuch werfen zu
dürfen, in dem sie sich gestern Abend bei Erhalt der Schlüssel noch eingetragen
hatten. Betsy entdeckte ihre Eintragung. Unmittelbar in der Spalte darunter
hätte der Name Leonhard M. Kelly stehen müssen. Dies war nicht der Fall. Mit
ihrem Eintrag endete der gestrige Tag. Betsy war der letzte Gast gewesen, dabei
hatte sie deutlich gesehen, wie ihr geheimnisvoller Begleiter von gestern Abend
sich ebenfalls einschrieb. Hatte er unsichtbare Tinte benutzt, um die
Mitleserin zu täuschen? Wenn ja, warum? Weshalb hatte er sich überhaupt als
Kelly ausgegeben? Das verstand sie noch am wenigsten. Es sei denn, dass der
andere, für sie jetzt Unbekannte, sich einen Spaß mit ihr erlauben wollte.
Schließlich war sie selbst es gewesen, die auf die Idee kam, ihn zu fragen, ob
er mit dem Besucher, der erwartet wurde, identisch war. Vielleicht hatte der
andere sich für die Nacht ein Abenteuer mit ihr versprochen. Jemand, der
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