1032 - Baphomets Monster
sich zusammen. Er merkte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg und auch gegen die Augen drückte, als sollten sie aus den Höhlen gepreßt werden.
Die Gestalt hatte es geschafft und war auf den Rücken der Figur geklettert, als wäre sie ein Reiter, der nur darauf wartete, endlich von dieser luftigen Höhe aus starten zu können. Das passierte noch nicht. Statt dessen steckte die Person dem Monstrum etwas in den Schnabel. Es sah für Bloch so aus, als wollte die Steinfigur tatsächlich gefüttert werden. Was sie zu fressen bekam, das konnte Bloch beim besten Willen nicht erkennen, auch nicht, ob die Nahrung flüssig oder fest war.
Der Schnabel blieb starr. Keine Bewegung. Kein Knirschen aus der Höhe, das die Stille zerstört hätte. Trotzdem war der Abbé davon überzeugt, etwas Wichtiges gesehen zu haben.
Er merkte, wie ihm der Kragen eng wurde, obwohl sein Hemd weit offen stand. Der Druck in seinem Kopf nahm zu, das Herz schlug schneller, und er schaute auch zu, wie die Person das Steinmonstrum streichelte, als wollte sie es aus seinem starren Zustand erlösen.
Wie harte Blitze schossen die Gedanken durch den Kopf des Templers. War es tatsächlich möglich, der Gestalt Leben einzuhauchen? Bloch wußte keine Antwort. Er hatte viel erlebt, das aber war ihm um eine Spur zu hoch.
Liebend gern hätte er mit dem Kletterer oder mit der Kletterin gesprochen, nur hätte das für ihn lebensgefährlich werden können. So blieb er auf der gleichen Stelle hocken und beobachtete weiter.
Auch das letzte Stück Nahrung verschwand im Schnabel der Figur. Daß dieser sich dabei bewegte und das Monstrum schluckte, schien wohl nur eine Einbildung zu sein.
Auszuschließen war es allerdings nicht…
Die Person hatte ihre Arbeit beendet. Elegant ließ sie sich nach vorn rutschen, wieder über den Kopf des Vogelmonsters hinweg, packte mit beiden Händen das Seil, turnte noch eine Rolle vorwärts hinein und ließ sich dann in die Tiefe gleiten.
Das Hochklettern war schon schnell gegangen, der Rückweg klappte noch schneller. Sie glitt an dem Seil entlang wie eine Tänzerin, die so schnell wie möglich festen Boden unter den Füßen haben wollte. Aber noch mehr mit dem Kopf zuerst, wie nach der Rolle.
Am Seil hängend hatte sich die Gestalt gedreht und ließ sich beinahe locker in die Tiefe gleiten, wobei sie nur in kurzen Abständen hangelte.
Dann war es geschafft. Das letzte Stück ließ sie sich fallen und sprang zu Boden.
In diesem Moment bekam der Abbé Gewißheit. Die Person war kein Mann, sondern eine Frau. Er sah es deutlich, als sie noch einmal in den Knien einknickte, um den Aufprall abzufedern. Dann stemmte sie sich wieder hoch und schaute nach vorn.
Bloch hätte sich am liebsten in ein tiefes Loch verkrochen. So wie die Frau nach vorn starrte, mußte sie ihn einfach entdecken. Da konnte er nicht übersehen werden, trotz seiner hockenden Haltung, und blind war sie bestimmt nicht.
Sie hatte ihn auch entdeckt. Für einen Moment war sie zusammengezuckt und dann erstarrt. Bloch glaubte sogar, ihren scharfen Blick auf sich gerichtet zu sehen, der ihn an geschliffenes Glas in den Pupillen erinnerte.
Bloch war in diesen Augenblicken überfordert. Er wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. Auf dem Boden zu hocken, kam ihm vor wie eine Demütigung und zugleich wie eine Verneigung vor dem verdammten Monstrum auf dem Dach der Kirche. Das brachte er einfach nicht fertig, und deshalb stand er auf.
Langsam und die Frau in ihrem langen Mantel und dem knappen Kostüm nicht aus den Augen lassend. Von ihrem Gesicht war nicht viel zu sehen, selbst beim Näherkommen nicht.
Sie war seine Feindin, das wußte der Abbé. Aber sie sah nicht aus, als hätte sie feindliche Absichten, denn sie zog keine Waffe, sondern kam einfach nur näher.
Dann blieb sie stehen. So plötzlich, daß Bloch erschrak. Er hatte sich bereits auf eine Auseinandersetzung eingestellt, doch auch jetzt blieb die Frau ruhig. Sie blickte ihn auch nicht an, sondern schaute an ihm vorbei, als wollte sie nach einem bestimmten Gegenstand suchen, der sich irgendwo in der Dunkelheit versteckt hielt.
Plötzlich nickte sie wie zur Begrüßung, zeigte ein knappes Lächeln, das den Abbé wohl beruhigen sollte, und sprach ihn mit Worten an, die Bloch erschreckten.
»Wissen Sie, daß Sie sich in höchster Lebensgefahr befinden…?«
***
Der Templer schwieg. Er versuchte, sein Erschrecken zu verbergen, aber er glaubte auch, daß diese Person die Wahrheit gesprochen hatte.
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