1036 - Die Psychonauten-Hexe
Ich wechselte in die Diktion dieser hier versammelten Typen. »So anders, so eventhaft. Hach, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich das anmacht und mich auch so wahnsinnig kreativ stimmt. Mein Gott, ich könnte schon wieder und habe…«
Ihr lautes Lachen unterbrach mich. Sheila bewegte sich dabei so hektisch, daß edle Tropfen aus dem Glas überschwappten und ihre Hand nässten. Sie stellte das Glas weg, Bill gab ihr ein Taschentuch und so konnte sie die Hand trocken wischen.
»Herrlich, John, du bist einfach herrlich.«
»Wieso?«
»Du solltest den Job wechseln und Parodist werden. Verhungern würdest du bestimmt nicht.«
»Kann sein. Trotzdem bleibe ich lieber Beamter.«
»Wegen der Parodie?« fragte Bill.
»Auch das. Manchmal kommt mir das Beamtentum ebenfalls wie eine Parodie vor.«
»Es geht auch gleich los«, sagte Sheila.
»Wunderbar. Mir gefällt die Luft hier nicht.«
»Das ist eben so.«
Immer wieder zuckten die Blitzlichter der Fotografen auf. Sie schossen sich ein, und selbst wir konnten es nicht vermeiden, fotografiert zu werden.
»Hast du denn mit dieser Tessa Hampton sprechen können?« erkundigte sich Bill.
Sheila sah etwas traurig aus. »Leider ist mir das nicht gelungen, obwohl ich alles versucht habe. Ein Fehlschlag, tut mir leid. Es war zuviel Trubel. Man hat die Mädchen quasi eingesperrt. Niemand durfte in die Garderoben hinein.«
»Dann konntest du keinen Termin abmachen?«
»Leider nicht.«
»Du hast Pech, John!« stellte Bill fest.
»Warum?«
»Wir müssen es eben nach der Schau versuchen. Und da wird es einen großen Trubel geben, das steht fest.«
»Was bedeutet das?« fragte ich.
»Starke Männer sind gefragt«, erklärte Sheila. »Welche, die sich den Weg frei boxen.«
»Soll ich nicht Suko Bescheid geben?«
»Das schaffen wir auch so.«
»Wie du meinst«, sagte ich und trank einen großen Schluck. »Aber du bist nach wie vor davon überzeugt, daß diese Tessa Hampton wichtig für uns ist?«
»Ja, das bin ich, denn ich habe sie zweimal beobachten können und beide Male das dritte Auge auf ihrer Stirn entdeckt. Oder hinter ihrer Stirn, ganz wie ihr es wollt. Aber es war vorhanden, davon bringt mich nichts ab. Deshalb gehe ich davon aus, daß es sich bei Tessa Hampton um eine Psychonautin handelt.« Sie sprach’s und schaute mich so an wie jemand, der einen Widerspruch erwartet.
Den behielt ich für mich. Außerdem hatte ich kein Interesse daran, ihr zu widersprechen. Ich glaubte ihr, sonst hätte ich mich nicht herlocken lassen.
»Warum auch nicht«, sagte ich. »Es gibt ja einige Menschen, die das Blut der alten Rasse in sich spüren. Bei Dagmar Hansen hatten wir den gleichen Fall.«
»Das Auge war zwar zu erkennen«, sagte Sheila, »allerdings nicht so deutlich wie du es gewohnt bist. Es hat seine gesamte Kraft noch nicht entfalten können. Was daraus zu folgern ist, müssen wir erst einmal abwarten. Wichtig ist nur, daß wir mit dieser Tessa Hampton reden. Und aufgeschminkt hat sie sich das Auge nicht. Sie wollte hier keinen modischen Gag vorführen.«
»Klar. Wer läßt sich auch so etwas einfallen?«
»Sheila hat sich ja auch mit ihrer Vita beschäftigt«, sagte Bill. »Sie kennt den Lebensweg der Tessa Hampton. Nur hat sie darin keinen Hinweis auf die Psychonauten gefunden, keine Kontakt, wenn ich das mal so sagen darf.«
»Kann es sein, daß sie selbst davon überrascht ist?«
»Keine Ahnung.«
»Und du, Sheila?«
Sie hob die Schultern. »Was meinst du damit?«
»Sagen wir so. Das Auge erschien, als sie über den Laufsteg ging. Zwar nur schwach, aber immerhin sichtbar. Normalerweise ist es doch nicht zu sehen – oder?«
»Ich glaube nicht.«
»Warum trat es dann nur auf dem Laufsteg hervor? Wollte Tessa, daß andere Menschen aufmerksam wurden?«
Die beiden Conollys schauten sich an. »Keine Ahnung«, gab Bill zu. Danach nickte seine Frau.
Ich schob mein Glas hin und her. »Wer auf den Laufsteg geht, erlebt eine Stresssituation. Ich glaube auch nicht, daß sienur allein durch die Routine abgebaut werden kann. Nicht grundlos sind bei den Models auch Drogen im Umlauf. Tessa hat Stress gehabt, sie erlebt Stress, und deshalb ist es auch möglich, daß durch diese Anspannung das Auge sich an der Stirn zeigt.«
»Wäre eine Möglichkeit«, gab Bill zu.
Sheila schwieg ebenfalls nicht. »Wir werden es nach der Schau bestimmt erfahren.«
»Kannst du mir diese Tessa beschreiben?«
»Nicht nötig, John. Wir sitzen ja direkt am catwalk. Wenn sie
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