1037 - Gefangene der SOL
dazu geeignet, auch härtere Naturen als ihr Alpträume zu bereiten. Mehr als ein Dutzend Menschen lagen auf dem Boden und rührten sich nicht mehr. Nur ab und zu war an einer schwachen Bewegung eines Brustkorbs zu erkennen, daß der Betreffende überhaupt noch lebte.
Die Geiseln hatten hochwirksame Beruhigungsmittel eingenommen. Fast konnte man ihren Zustand als den eines künstlichen Winterschlafs bezeichnen.
Nur zwei Personen waren noch wach. Sie saßen auf dem Boden, sahen sich ab und zu an und schwiegen. Gashta Feron und Zufir Malpar. Zu sagen gab es nicht viel. Ab und zu streckte einer der beiden die Hand nach dem anderen aus. Ein kurzer Händedruck sollte dem anderen zeigen, daß an ihn gedacht wurde. Kleine Gesten spontaner Zärtlichkeit, die in dieser bedrückenden Atmosphäre notwendiger waren denn je.
Seit geraumer Zeit saßen die beiden so und warteten. Zeit verstrich, mal langsamer, mal schneller. Es hing davon ab, wie sehr man sich auf das Warten konzentrierte.
Gashta war gerade erst aus einem kurzen Schlaf erwacht, in dem sie beängstigende Träume gehabt hatte, Szenen von Beklemmung und Furcht erfüllt.
Ein Blick auf die Uhr. War tatsächlich schon so viel Zeit vergangen?
„Keine Nachricht von Tomason", sagte Zufir. Er sah geradeaus. Sein Gesicht wirkte versteinert. Vor kurzem hatten sich diese beiden gar nicht gekannt, jetzt bildeten sie eine seltsame Gemeinschaft, geformt aus Not und Zuneigung. Beide waren gespannt, was aus dieser Verbindung wurde, wenn diese Ausnahmesituation entfiel - falls sie entfiel.
Einstweilen sah es nicht so aus, als gäbe es Grund zum Optimismus.
„Was sollten sie uns auch sagen", murmelte Gashta. „Unser Feind hört alles mit. Was muß das für ein Mensch sein?"
Zufir zuckte nur mit den Schultern.
Jeder Atemzug verkürzte die Spanne Leben, die den beiden verblieb - und auch den anderen. Es war ein gräßliches Gefühl, das eigene Leben in dieser Weise gleichsam aufzuzehren, bemessen zu können, wie viel einem noch blieb günstigenfalls. Früher hatte sich Gashta niemals über solche Probleme den Kopf zerbrochen. Warum auch? Sie war jung, intelligent, sah gut aus - das Leben schien noch viel für sie bereitzuhalten. Erst in den letzten Tagen, konfrontiert mit Gewalt und Tod so unmittelbar und hautnah wie nie zuvor, hatte sie sich Gedanken gemacht, und der Gedanke, keine Zukunft mehr zu haben, hatte sie erschreckt.
Niemals zuvor hatte Gashta an ihrem Leben so gehangen wie in diesen entsetzlich langen, zermürbenden Stunden des Wartens - die doch so entsetzlich schnell zu vergehen schienen, weil an ihrem Ende der Tod stand.
„Hat sich Mallagan wieder gemeldet?"
Zufir schüttelte den Kopf.
Er stand auf, ging in den Nachbarraum, wo ein Kühlfach zu finden war, und kehrte mit zwei Bechern eines Erfrischungsgetränks zurück.
Gashta nahm den Becher in die Hand. Die Limonade war mit Kohlensäure versetzt. Die Handwärme ließ sie ausperlen. Eine dünne Schaumschicht lag oben auf der Limonade.
Schmerzlich wurde Gashta bewußt, was sie sah - ein paar Kubikzentimeter nicht atembaren Gases mehr in diesen Räumen. Jedes Bläschen, das die Kohlensäure in den Raum entweichen ließ, konnte sie einen Sekundenbruchteil ihres Lebens kosten.
Gashta trank hastig. Sie war durstig, und sie wollte das Perlen der Kohlensäure nicht länger sehen müssen. Wahrscheinlich gab es in diesen Minuten in diesen Räumen nichts, was nicht auf langen oder kurzen Assoziationswegen an den nahen Tod erinnerte.
Von irgendwoher kam ein Geräusch. Gashta schrak auf. Sie sah Zufir an. Auch er schien etwas gehört zu haben. Der Laut war von einem der benachbarten Räume gekommen.
„Ich sehe nach", sagte Zufir und stand wieder auf.
„Ich komme mit", erklärte Gashta kategorisch.
Sie mußten vier Räume durchschreiten, bevor sie an die Quelle des Geräusches kamen.
Der Laut schien aus dem Boden zu kommen. Metall, das auf Metall schlug.
„Was mag das sein?" fragte Gashta.
Zufir hatte sich auf den Boden gelegt. Er zog seine Waffe. Mit dem Kolben der Waffe schlug er dreimal hart auf den Boden. Die Geräusche verstummten, dann klangen drei Schläge zurück.
Zufir setzte ein strahlendes Lächeln auf.
„Sie kommen uns holen", sagte er.
Mit Klopfzeichen verständigte er sich mit den Leuten auf der anderen Seite. Die Verständigung war ein wenig mühsam, aber sie funktionierte.
„Wir sollen die Türen schließen und uns im Nachbarraum einschließen", sagte Zufir nach einiger Zeit.
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