1037 - Zurück aus dem Jenseits
Möglicherweise wußten sie selbst nicht, wie derartige Verletzungen hatten entstehen können. Er hatte sich ja nicht verätzt oder war normal geblendet worden. Allein durch die Kraft der Hexe war es dazu gekommen. Dieses verfluchte Wesen, das es tatsächlich geschafft hatte, die Grenze zwischen Jenseits und Diesseits zu überbrücken. Sie war jetzt da, und sie würde auch nicht mehr so leicht verschwinden.
Scharf atmete Dagmar immer wieder die Luft aus. Sie konnte einfach nicht sitzenbleiben. Ging hin und her, hielt mal die Hände auf dem Rücken verschränkt und den Kopf gesenkt, als wollte sie den Boden genauer betrachten.
Dann schreckte sie plötzlich zusammen. Vom Gang her hörte sie Stimmen. Eine Stimme kam ihr bekannt vor. Sie gehörte dem Arzt, mit dem sie gesprochen hatte. Er hatte sich ihr gegenüber als Dr. Fischer vorgestellt.
Kam er jetzt, um ihr eine Information zu geben? Dagmars Herz schlug noch schneller. Sie wagte kaum, Luft zu holen, so sehr stand sie unter Druck.
Es dauerte, bis der Mann erschien. Sie hatte ihm gesagt, wo sie warten wollte. Tatsächlich erreichte er das Ende des Gangs und drehte sich nach links.
Dagmar stand unbeweglich. Den Blick hielt sie auf den Mann gerichtet. Sie versuchte, in seinen Augen zu lesen und auch auf seinem Gesicht zu erkennen, ob da etwas passiert war. Egal, welche Richtung eingeschlagen worden war.
Dr. Fischer war noch jünger. Um die dreißig. Er hatte das blonde Haar kurz geschnitten, und sein Gesicht sah so sonnenbraun aus, als wäre er gerade aus dem Urlaub gekommen. Sein Kittel strahlte in sehr hellem Weiß.
»Und?« fragte Dagmar und ärgerte sich selbst über die Hektik in ihrer Stimme. »Wie geht es ihm?«
Dr. Fischer wiegte den Kopf. Er lächelte nicht. Ein schlechtes Zeichen, dachte Dagmar.
»Warum sagen Sie nichts?«
»Das ist schwer.« Der Arzt hob die Schultern. »Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen beibringen soll…«
»Keine Chance?« fragte Dagmar mit leicht schrill klingender Stimme.
»Das will ich nicht sagen.«
»Himmel, Doktor, so spannen Sie mich nicht länger auf die Folter. Was ist mit meinem Partner?«
»Sagen wir so. Es hat sich nicht verschlimmert.«
Dagmar wollte es nicht. Es brach plötzlich aus ihr hervor. Sie mußte einfach lachen. »Nicht verschlimmert, sagen Sie. Aber auch nicht gebessert, wie?«
»Nein, leider nicht. Der Status ist erhalten geblieben. Da bin ich ehrlich.«
Dagmar schloß für einen Moment die Augen. Sie zwang sich zur Ruhe, was ihr nicht eben leichtfiel. »Ich möchte, wenn möglich, keine medizinischen Facherklärungen hören, aber ich werde Sie fragen, Doktor, ob man da noch etwas machen kann?«
»Das werden wir noch untersuchen müssen, was natürlich dauert, Frau Hansen.«
»Sicher«, gab sie flüsternd zurück. »Das kann ich sehr gut verstehen. Alles dauert. Aber sehen Sie noch eine Chance?«
»Möglichkeiten gibt es immer. So leicht geben wir nicht auf. Die Medizin ist schon gut. Aber ich hätte jetzt noch einige Fragen an Sie, Frau Hansen.«
Dagmar hatte ihre Augen längst wieder geöffnet. »Bitte, Doktor, fragen Sie.«
»Es ist ganz einfach. Wenn Sie Zeugin gewesen sind, werden Sie mir bestimmt sagen können, wie es zu diesem Vorfall kam. Wir haben den Eindruck, als wäre ihr Partner geblendet worden.«
Dagmar sagte zunächst nichts. Auch wenn sie ihre Lippen verzog, kam es keinem Lächeln gleich. »Ja«, gab sie schließlich zu. »Irgendwo haben Sie schon recht, Doktor. Harry Stahl ist geblendet worden.«
»Gut. Und wie?«
»Nicht durch einen Spiegel, wenn Sie das annehmen. Nicht durch die Sonne oder wie auch immer…«
»Wodurch dann?«
Dagmar Hansen rang nach Luft. »Ich kann es Ihnen beim besten Willen nicht sagen, Doktor. Nicht, weil ich Ihnen nicht traue, aber Sie würden es nicht begreifen.«
»Das verstehe ich nicht.« Seine Stimme hatte die freundliche Verbindlichkeit verloren. »Tut mir leid. Wenn Sie sich sperren, Frau Hansen, kann ich wenig für Sie und Ihren Partner tun.«
»Das weiß ich.«
Er schüttelte den Kopf. »Sie nehmen es einfach so hin. Das hörte sich an, als wollten Sie Harry Stahl seinem Schicksal überlassen. Bitte, ich kann mich irren, aber…«
»Nein, Dr. Fischer, ich überlasse ihn nicht seinem Schicksal. Ich möchte Sie nur um eines bitten, auch wenn ich in Ihren Augen jetzt schlechter dastehe. Ich möchte Harry Stahl auf keinen Fall allein lassen. Ich weiß nicht, wann Sie sich wieder um ihn kümmern wollen und weitere Untersuchungen
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