1037 - Zurück aus dem Jenseits
Sekunde zu Sekunde stärker. Es schien seine Kraft nach innen und nach außen zugleich verteilen zu wollen.
Der Mörder sprach nicht. Er bewegte sich nicht. Es zuckte nicht mal ein Augenlid. Auch die Lippen blieben starr und waren beinahe blutleer geworden.
Aber der Schein des dritten Auges erreichte ihn. Je näher die alte Psychonauten-Hexe kam, um so stärker rötete er die Haut, als wollte er sie in Flammen setzten. Ein Killer wie er sollte und mußte brennen und die volle Rache einer Unperson erleben.
Jamina schaute noch immer zu. Ihr wäre auch nie der Gedanke gekommen, einzugreifen. Dafür streifte etwas ihre Nase. Und wieder war es dieser Brandgeruch. Nur roch er diesmal anders.
Sie suchte nach einem Vergleich, und plötzlich kam ihr das Wort »frischer« in den Sinn.
So frisch wie angesengte Menschenhaut, über die leichte Flammenzungen hinwegglitten.
Das konnte keine Einbildung sein, denn es hatte mit dem alten Geruch der Hexe nichts zu tun.
Jaminas Blick klärte sich. Ihre Augen kannten nur ein Ziel. Es war der Henker.
Und seine Gesichtszüge lösten sich allmählich auf. Zumindest kam es Jamina so vor, denn aus den Poren der Haut drangen die ersten, zittrigen Rauchfäden.
Der Killer fing an zu brennen. Er stand im Schein des dritten Auges, und der Rauch hatte bereits die rötliche Farbe angenommen.
Wie mit Pinselstrichen gezeichnet, glitt er am Gesicht in die Höhe und verteilte sich über dem Kopf.
Der Mann mußte wahnsinnige Schmerzen ertragen. Er rührte sich nicht. Kein Laut drang über seine Lippen, während immer mehr Rauch aus seinen Poren drang und den Kopf umhüllte. Es war nicht zu sehen, ob er auch am Körper brannte, denn aus den Lücken seiner Kleidung quoll nichts hervor.
Die Haut bekam eine andere Farbe. Dunkler. Zuerst wie Asche.
Danach wurde sie noch grauer und erhielt den Stich ins Schwarze, so daß sie wirkte wie alte Rinde, die einen Baumstamm umklammert hielt. Der Glanz der Augen war verloschen. Wie stinkender Nebel umtanzte der Rauch das Gesicht.
Marianne stand jetzt sehr nahe vor ihrem Opfer. Ein knappes Ausstrecken der Hand hätte ausgereicht, um ihn zu berühren. Nur hatte sie das nicht nötig.
Sie schaute zu, wie er stumm verbrannte und dem Tod nicht mehr entgehen konnte. Die innere Hitze drängte sich immer stärker nach außen, plötzlich drang auch der Rauch aus seinen Haaren, die sich dabei zusammenzogen wie das Gesicht.
Es gab keine glatte Haut mehr. Es existierten nur die dunklen Falten und Runzeln, die wie schwere Gräben dort lagen. Aus ihnen wehten fettige Ascheteilchen weg.
Dann brach der Killer zusammen. Es passierte urplötzlich. Eine nicht sichtbare Kraft hatte ihm die Beine einfach weggeschmettert.
Es gab keinen Halt mehr für ihn. Er riß auch nicht die Arme hoch, denn ihm fehlte die Bewegungsfreiheit.
Steif wie ein angekohltes Stück Holz prallte er auf die Bohlen, die beim Aufschlag leicht nachfederten, aber nicht knisterten, denn diese Geräusche hinterließ der Mann, der noch vor kurzem ein lebendiger Mensch gewesen war und nun mit gebrochenen Augen auf dem Rücken lag.
Jamina konnte nicht reden. Sie war stumm geworden. Etwas rieselte durch ihren Körper, und sie spürte, daß es ein gutes Gefühl war. Die alte Hexe war nicht tot. Sie hatte ihren Schützling auch nicht im Stich gelassen, und sie schwebte jetzt zurück, wobei sie sich drehte, um Jamina anzuschauen.
Die Frau hielt dem Blick stand. Sie hatte erfahren, daß es eine Straße zwischen dem Jenseits und dem Diesseits gab. Sonst wäre es Marianne nicht möglich gewesen, zurückzukehren.
Tief holte Jamina Luft.
Es war gut, eine Freundin zu haben. Das häßliche Gesicht störte sie nicht. Viel wichtiger war das dritte Auge auf der Stirn. Es allein dokumentierte ihre innige Verbundenheit.
Jamina konnte nicht mehr stehenbleiben. Sie mußte einfach etwas tun und ging der Freundin aus dem Jenseits einen Schritt entgegen.
Den zweiten ließ sie bleiben.
Marianne zuckte heftig zur Seite. Das alte verbrannte Gesicht drehte sich dem Fenster zu.
Dort war niemand erschienen, um in das Haus zu schauen. Die Bewegung hatte einen anderen Grund gehabt.
Draußen hatte ein Auto gehalten…
***
Ich hatte mein Ziel so gut wie erreicht, denn ich war von der doch recht viel befahrenen Straße abgefahren und rollte durch eine postkartenschöne, von der Sonne beschienenen Bergwelt. Ein Paradies für Urlauber, die den goldenen Oktober liebten und die Düfte der Natur, mit der sie sehr freigiebig war.
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