1039 - Die Stimme der Bruderschaft
Streifen verlief die Fernstraße 95.
Nach kurzem Zögern rief Nikkam die nächst gelegene Dienststelle der Schutzgarde an. Er gab sich zu erkennen und bat darum, daß man ihm ein paar Gardisten schickte, die Irgillyns Nachlaß sichteten. Es sei immerhin möglich, sagte er, daß man darunter einen Hinweis finde, der bei der Aufklärung des gestrigen Mordfalls von Nutzen sein könnte. Der Leiter der Dienststelle sagte seine Hilfe zu.
Das Stück Druckfolie nahm Nikkam an sich. Nachdem er Intschil ein paar Anweisungen für den Rest der Aufräumarbeiten erteilt hatte, machte er sich auf den Weg.
*
Die Westgrenze des Bezirks Pävolaan war unbewohnt. Die Wesen, die in Pävolaan lebten, hatten sich ins Innere des Stadtteils zurückgezogen, als scheuten sie sich, von den Bewohnern des wohlhabenden Bezirks Merdaris gesehen zu werden. Der südliche Teil der beiden Hauptverkehrswege, die durch die Traverse 8 miteinander verbunden wurden, war bereits eingeebnet. Das städtische Wiederbebauungsprogramm folgte den zurückweichenden Asozialen auf dem Fuß.
Nikkam blickte an der Reihe der halb zerfallenen Pyramiden entlang. Es war kurz nach Mittag. Ein wolkenlos blaßblauer Himmel wölbte sich über der Nordstadt. Der Wind war eingeschlafen, und die Sonne Krandhor brannte mit unbarmherziger Wucht.
Für siebzehn Uhr war eine nördliche Brise angesagt, die frische Kaltluft von den Lissan-Bergen heranführen sollte. Bis dahin hoffte Nikkam, seine Mission längst beendet zu haben.
Es war ihm nicht wohl in der hitzeflimmernden Einsamkeit der zerfallenen Gebäude.
Jenseits der breiten Grasfläche sah er die Gebäude des Bezirks Merdaris, und über ihm schwang sich der kühne Bogen der Fernstraße. Dröhnendes Brummen drang zu ihm herab. Da oben und dort drüben war die Zivilisation, aber er stand allein in einer Wildnis, die seit langem keines intelligenten Wesens Fuß mehr betreten hatte.
Falsch gedacht: Irgillyn war hier gewesen!
Bauwerk 4 mochte einst eine imposante Struktur gewesen sein, über fünfzig Meter hoch, mit unregelmäßigen, zum Teil schiefkantigen Stufen, wie die Architekten vergangener Jahrhunderte gerne gebaut hatten. Jetzt war der Glanz verschwunden. Die Spitze der Pyramide war zu Geröll geworden, das im verwahrlosten Garten verstreut lag. Die Stufen der Treppen, die an zwei gegenüberliegenden Seitenflächen des Gebäudes nach oben führten, waren zerbröckelt, und niemand würde sich ihnen mehr anvertrauen wollen.
Was immer Irgillyn hier gesucht hatte, mußte sich zu ebener Erde befinden. Nikkam suchte nach Spuren, aber seine Mühe war umsonst. Er näherte sich der nach Westen weisenden Kante der Pyramide und entdeckte einen Eingang, der wie die Mündung einer Höhle aussah. Sicherlich hatte er nicht zum ursprünglichen Bauplan gehört. Er war nachträglich angebracht worden. Nikkam trat vorsichtig hinzu. Er roch Moder und wünschte sich plötzlich, er hätte eine Waffe. Wer mochte wissen, was dort hinten in der undurchdringlichen Finsternis lauerte?
„Ich an deiner Stelle wäre vorsichtig", sagte hinter ihm eine helle Stimme.
Nikkam ruckte herum. Einen Augenblick lang stockte ihm vor Schreck der Puls. Dann erkannte er Arzyria, die hinter einem Gebüsch stand und ihm zuwinkte. Verwundert ging er auf sie zu.
„Was hast du hier zu suchen?" fragte er nicht besonders freundlich.
„Dasselbe könnte ich dich fragen", antwortete die Kranin spöttisch. „Ich sah dich und wollte wissen, was dich hier herbringt."
*
„Du sahst mich?" stieß Nikkam verblüfft hervor.
Arzyria wurde ernst. „Ich glaube nicht, daß wir uns hier unterhalten sollten", sagte sie. „Drüben auf der anderen Seite ist es sicherer."
Am Rand der Grasfläche stand ein kleiner Schweber geparkt. Während Arzyria ihn unter dem breiten Band der Hochstraße hindurch steuerte, erkundigte sich Nikkam: „Wohin?"
„Zu Irgillyns Quartier", erhielt er zur Antwort. „Er hatte seine Unterkunft in der Pyramide dort drüben - die mit den rot und grün dekorierten Erkern und Türmchen."
Sie selbst stellte keine Frage. Dennoch wußte Nikkam, daß sie von ihm erwartete, seine Anwesenheit in diesem Teil der Stadt zu erklären. Er berichtete von dem Fund, den er in Irgillyns Arbeitszeit gemacht hatte.
„Du hättest mich davon wissen lassen können", sagte Arzyria mit leisem Tadel.
„Ich habe heute morgen versucht, dich zu erreichen", erwiderte Nikkam. „Ich hinterließ meinen Namen. Du reagiertest nicht. Es war nicht
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