1043 - Engelkinder
nicht.«
»Ob sie etwas will?«
»Möglich wäre es.«
Inzwischen hatte es schon zum viertenmal geklingelt, und Jane Collins ergriff die Initiative. »Ich werde abheben.«
Sarah hatte nichts dagegen. In ihrem Innern sträubte sich einiges. Sie wollte nicht mit dem Anrufer sprechen. Sie hatte auch feuchte Hände bekommen. Allerdings blieb sie dicht hinter Jane, als diese das Wohnzimmer betrat. Bevor sich der Apparat zum sechstenmal melden konnte, hatte die Detektivin abgehoben. Sie tupfte den Hörer nur gegen das rechte Ohr, ohne etwas zu sagen.
Der Anrufer hatte nicht aufgelegt. Sie hörte ihn scharf atmen. Lady Sarah warf Jane einen fragenden Blick zu, doch die Detektivin winkte mit der freien Hand ab.
»Soll ich auflegen oder nicht?« Jane wurde es zu bunt. Sie hatte die Frage mit scharfer Stimme gestellt.
»Nein, nicht.«
Endlich eine Stimme. Sie gehörte einem Mann. Wieder atmete er scharf aus. »Wer seid ihr?«
Eine Frage, mit der Jane nicht gerechnet hatte. Allerdings hatte sie den Beweis erhalten, daß sie unter Beobachtung standen. So leer und einsam war die Gegend nicht. Irgendwo mußten sich Personen verborgen haben, die alles unter Kontrolle hatten. Auf der Herfahrt war den beiden Frauen nichts aufgefallen.
»Hören Sie«, sagte Jane Collins. »Ich bin es nicht gewohnt, daß sich jemand nicht vorstellt. Sie haben mich angerufen, nicht umgekehrt. Deshalb will ich von Ihnen wissen, wer Sie sind. Sagen Sie mir Ihren Namen, Mister.«
»Namen sind wie Schall und Rauch.«
»Das hätte mir auch jemand anderer erzählen können.«
Jane vernahm das leise Lachen. »Sie sollten vorsichtig sein. Dieses Haus ist nicht für Sie bestimmt.«
»0 doch, das ist es«, widersprach Jane Collins. »Wir werden uns nämlich hier einnisten. Wir wollen es uns zuerst einmal anschauen, und dann werden wir überlegen, wie lange wir bleiben. Schließlich ist es nicht einfach, ein Erbe auszuschlagen.«
Sie hörte den Mann kieksend lachen. »Ein Erbe ausschlagen?« höhnte er. »Welches Erbe?«
»Das Haus.«
»Nein, Sie haben es nicht geerbt.«
»Ach, sind Sie darüber so gut informiert?«
»Das bin ich. Ich will Ihnen auch sagen, daß wir nur einmal warnen. Fassen Sie die folgenden Worte als Warnung auf. Verschwinden Sie. Und zwar so schnell wie möglich. Wir wollen Sie in der nächsten Stunde nicht mehr im Haus sehen. Verstanden?«
»Sicher.«
»Auch kapiert?«
»Das müssen Sie schon uns überlassen, Mister Unbekannt. Außerdem rede ich nicht mit Anrufern, die sich nicht vorstellen. So hat jeder seine Prinzipien.«
»Auch wir, meine Liebe, auch wir.«
»Das ist mir egal.« Jane Collins legte auf, schloß für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Dann drehte sie sich sehr langsam um.
Sarah stand neben ihr. Die Horror-Oma hielt den Blick gesenkt. Die Stirn hatte sie in nachdenkliche Falten gelegt. »Du brauchst mir nichts zu erklären, Jane, ich habe mitgehört.«
»Und was meinst du? Habe ich richtig gehandelt?«
»Ich denke schon.« Sie schüttelte den Kopf. »Wir dürfen uns nicht vertreiben lassen, und schon gar nicht von irgendwelchen Unbekannten, die sich namentlich nicht vorgestellt haben. Wir können nach diesem Anruf überzeugt sein, daß der Selbstmord keiner im eigentlichen Sinne gewesen ist. Ich glaube, daß schon jemand nachgeholfen hat. Ob direkt oder indirekt, das kann man nicht wissen.« Sarah hob die Schultern. »Auf der anderen Seite beweist uns der Anruf, daß wir unter Kontrolle stehen. Jemand hat uns beobachtet. Irgendwer muß in der Nähe sein, der haargenau weiß, was passiert ist.«
Jane stimmte durch ein Nicken zu. »Ja, das kann ich unterstreichen. Es ist alles okay, wie du das gesagt hast. Ich frage mich nur, was dahintersteckt. Warum will man uns so schnell aus diesem Haus heraushaben? Birgt es ein Geheimnis?«
»Keine Ahnung. Auch Tricia Wayne wußte ja nichts.«
»Die lebt in London. Wenn wir eine Antwort erhalten, dann nur hier in Temple.«
Sarah stimmte Jane zu. »Wir sollten nicht zu lange warten und in den Ort hineinfahren.«
»Vorher zum Friedhof?«
»Möchtest du?«
Jane Collins nickte. »Ja, ich möchte die Gräber sehen. Oder das Doppelgrab. Obwohl ich sie nicht kannte. Außerdem denke ich daran, daß wir, falls wir unter Beobachtung stehen, eventuell jemanden zu Gesicht bekommen. Sie müssen uns ja folgen, denke ich mir. Vielleicht sind sie uns auch gefolgt. Nur haben wir es nicht gesehen.«
»Na ja, wir werden sehen.« Sarah wollte an Jane vorbeigehen,
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